Ein Heimatroman im besten Sinne
Claudia Seiring
Die Anni Haider gehört zum Dorf und auch nicht. Etwas merkwürdig
ist die Alte, eine Hexe sagen manche. Doch als sie eines Tages
verschwunden ist, führt das in Benkenhorst zu großer
Unruhe.
Wir schreiben das Jahr 1934, irgendwo in Norddeutschland. Die Machtergreifung
der Nazis liegt ein Jahr zurück, die braunen Schatten legen sich bereits
an vielen Stellen übers Dorf. Zum Beispiel der neue Lehrer: Bernhard Heinrich,
ein strammer Nationalsozialist, tritt die Nachfolge des alten Dorflehrers Wilhelm
Dörbrandt an. Schneidig, nassforsch und mit der Partei im Rücken
ist er so ganz anders, als sein Vorgänger. Er ist es auch, der die Schändung
der Fahne durch den besoffenen Richard Rogge bemerkt und diesen dingfest macht.
Für Rogge und dessen Mutter letztlich das Todesurteil.
„Ferner Vögel leiser Schrei“ ist das erste Buch des Journalisten
Reinhard Düsterhöft, der für diese Zeitung arbeitet. Eine Buchkritik
für einen Kollegen? Das kann für beide Seiten schwierig werden, wenn
das Buch nicht gefällt. Doch in diesem Fall ist es überhaupt nicht
schwierig.
„Ferner Vögel leiser Schrei“ ist die beeindruckende Geschichte
einer Verwandlung: Die irgendwann einmal intakte Dorfgemeinschaft von Benkenhorst
bricht auseinander, die Falschen übernehmen die Macht. Schweigend betrachten
die anderen die polternden, selbstsicheren Parteigenossen, die die Atmosphäre
des Ortes vergiften. Was darf man noch sagen? Wem darf man noch trauen? Der
Riss geht quer durch die Familien, wenn die Söhne der Bauern in die Partei
eintreten.
Und die Anni? Die ist bei einer Übung von einem SA-Mann erschossen worden.
Das soll vertuscht werden. Doch der alte Lehrer kann das moralisch nicht verantworten.
Natürlich wäre es klüger, zu schweigen. Aber doch nicht gegen
das eigene Gewissen! Er redet und wird von der Gestapo abgeholt.
Düsterhöft gelingt es in seinem Roman auf beeindruckende Weise, in
leisen, beschreibenden Sätzen eine Welt zu spiegeln, in der alles aus
den Fugen ist. Die alten Regeln der bäuerlichen Gemeinschaft existieren
nicht mehr, die neuen Herren(menschen) haben das Sagen und setzen sich gnadenlos
durch. Mit „Ferner Vögel leiser Schrei“ ist Düsterhöft
ein Heimatroman im besten Sinne gelungen. Er handelt von den einfachen Menschen
im Dorf und er verrät sie mit keiner Silbe. Die Entlarvung des Bösen
kommt nicht mit dem Peitschenhieb, sondern auf leisen Sohlen.
Dabei gelingen Düsterhöft fein skizzierte Psychogramme: Ob es der
Außenseiter Richard Rogge, Lehrer Wilhelm Dörbrandt oder aber die
Schergen der Machthaber wie Kreisleiter Rogalla oder der widerlich effektive
Gestapomann Dechtow sind, sie alle erhalten ein Gesicht, ein Wesen, wir lernen
sie wirklich kennen.
Auch wenn es sich bei Benkenhorst und seinen Einwohnern um eine fiktive Geschichte
handelt, spürt man doch in jeder Zeile die Herkunft des Autors: als Sohn
eines Bauern in der Uckermark, der weiß wovon er spricht. Doch keine
seiner poetischen Landschaftsbeschreibungen gerät langweilig, vor dem
inneren Auge erscheint die Weite der Landschaft genauso wie die Verwunschenheit
von Moor und Sümpfen. „Der Luftzug streift an seinem Gesicht vorbei.
Es ist kalt draußen. Der Winter wird nicht mehr lange auf sich warten
lassen. Er kann den Mond sehen, eine gelb leuchtende Scheibe, gesprenkelt mit
dunklen Flecken.“
Wir lesen kein reißerisches Werk, werden nicht atemlos von dramatischem
Höhepunkt zu dramatischem Höhepunkt getrieben, im Gegenteil. Trotz
des politischen Themas ist es eine Lektüre der Langsamkeit und Ruhe. Hier
erzählt einer, dem es ganz ernst ist mit seinen Protagonisten, einer,
der seiner Geschichte kontinuierlich folgt, Stück für Stück
berichtet, wie es gewesen ist. So kommt es, dass die Erschießung der
Anni Haider wie in Zeitlupe erlebt wird. Man ahnt, was geschieht, schaut zu
und kann doch nicht eingreifen. Es ist wie ein eingefrorenes Bild, das bleibt.
Benkenhorst am Südrand des Strieglower Landes könnte ein so schöner
Flecken sein. Wenn die Menschen nicht wären. Oder das, was sie einander
antun. Düsterhöft hat einen grandiosen Roman geschrieben, dem – nicht
nur in unserer Region – viele, viele Leser zu wünschen sind.
Reinhard Düsterhöft:
„Ferner Vögel leiser Schrei“
Dorante Edition
256 Seiten, 14,95 Euro
ISBN: 3-86703-742-6
Ruppiner Anzeiger, 2.8.2008
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