Leseprobe:



Rainer Daus


Manchmal

Manchmal
ü berkommt ihn so eine Sehnsucht.
Nach Flucht.
Nach Wegvonhier.
Nach Andersleben.
Lissabon schwebt ihm dann so vor
oder Florenz,
wo er einmal gewesen war
mit einer schönen jungen Frau,
wie sie eng umschlungen
gestanden hatten auf der
Ponte Veccio,
ein Pärchen unter Pärchen,
und wie man sich geküsst hatte
in aller Öffentlichkeit,
immer und immer wieder,
weil es offenbar anders nicht ging.
Man war verliebt gewesen,
damals.
Und jung -

Florenz -

Aber dann denkt er:
Küsse schaffen keine Unsterblichkeit.
Nur Schreiben schafft Unsterblichkeit.

Und dann setzt er sich wieder
an seine Maschine
und hämmert
Sätze in die Tasten,
die einen Text ergeben,
ein Gedicht,
eine Erzählung,
einen Roman,
ein Theaterstück.

Er weiß,
dass er am Leben vorbeilebt,
wie man so sagt,
aber das ist ihm egal,
denn er ist schon alt.
Leben ist flüchtig,
denkt er,
und auch die Liebe ist flüchtig.
Aber ein Satz,
der geschrieben steht,
bleibt
für alle Zeit.