" Begreifen, was passiert ist, nicht verstehen"

 

Reinhard Düsterhöft ist Redakteur unserer Zeitung für den Bereich Lindow. „Ferner Vögel leiser Schrei“ ist sein erstes Buch. Mit dem 57-Jährigen sprach Claudia Seiring über sein Werk.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch zu schreiben? Und wie haben Sie das Thema Ihres ersten Romans gefunden?

Düsterhöft: Ein Buch schreiben wollte ich schon immer, davon habe ich schon in meiner Kindheit geträumt. Dann habe ich nach einem Thema gesucht. Mit zwölf oder dreizehn Jahren hörte ich ein Gespräch zwischen meinem Vater und meinem Onkel mit. Darin ging es um die Erschießung einer alten Frau durch die SA. Was mich damals schon schockiert hat, war die Beiläufigkeit, mit der sie sich über das Thema unterhielten, weil ich ja begriffen hatte, dass es sich um Mord handelt. Später dachte ich, das wäre ein lohnendes Thema, eher als Erzählung.

Es hat ja dann sehr lange gedauert, bis Sie sich des Themas als Autor angenommen haben. Warum?

Düsterhöft: Das Thema hat mich immer begleitet. Zu DDR-Zeiten hatte ich den Thälmann-Film gesehen, der bei mir viele Fragen offen ließ. Durch diesen Thälmann-Film stürzt der Hitler als brüllender Idiot, und die Nazis werden als eine Art Fremdkörper im deutschen Volk dargestellt. Das mag das deutsche Volk ja ehren, hat aber mit der historischen Wahrheit nichts zu tun. Die durchschlagenden Erfolge zu Beginn der Nazizeit gründeten sich auch darauf, dass sie an tief verwurzelte Denk- und Verhaltensweisen im deutschen Volk anknüpfen konnten. Ein Beispiel: Die Sinti und Roma – im damaligen Sprachgebrauch Zigeuner – stehen rassisch gesehen dem arischen Urvolk viel näher als die Deutschen. Trotzdem waren sie grausamer Verfolgung ausgesetzt. Das erklärt sich daraus, dass sie in den Augen der Nazis asozial lebten. Ihre Verfolgung wurde von der Bevölkerung toleriert, wenn nicht sogar begrüßt, weil zum Beispiel bei der Landbevölkerung die Zigeuner als „Diebsgesindel“ verschrien waren.

Wie lange haben Sie an dem Buch geschrieben?

Düsterhöft: Über drei Jahre. Dem ging aber ein intensives Quellenstudium voraus. Ich hatte zwei Jahre vorher schon angefangen und habe dabei gemerkt, dass ich über das Thema einfach zu wenig wusste. Ich wusste, dass ich die Handlung zeitlich gesehen zwischen dem Röhm-Putsch und der Einführung der Wehrpflicht in Deutschland ansiedeln wollte. Aus der Zeit habe ich Ausgaben des Völkischen Beobachters und diverse Nazi-Literatur studiert. Das Studium von Originalquellen war wichtig, weil ich wissen wollte, wie die Leute damals dachten und fühlten. Ich wollte begreifen, was damals passierte. Ich sage bewusst nicht verstehen, denn das hört sich an, als wollte ich es billigen.

Sind die von Ihnen gewählten Ortsnamen und Personen echt? Existieren sie?

Düsterhöft: Nein, das Strieglower Land ist fiktiv, genau wie die Orte und Menschen, die ich beschreibe. Die Fahnenschändung hat als Fakt stattgefunden, die daraus resultierende Handlung ist erdacht.

Was war für Sie das größte Problem beim Schreiben?

Düsterhöft: Dass ich niemanden hatte, den ich fragen konnte. Wenn ein Autor normalerweise mit einem Verlag zusammenarbeitet, hat er ja einen Lektor, der ihm hilft. Ich musste mir alle Antworten selber geben.
Haben Sie das Manuskript niemanden lesen lassen?

Düsterhöft: Nein, ich habe über das Buch keine Silbe verloren, bevor es erschienen ist.

Warum?

Düsterhöft: Ich wollte einfach nicht über ungelegte Eier gackern. Ich wollte erst sehen: Wird was draus oder nicht?

Wusste selbst Ihre Frau nichts von dem Buch?

Düsterhöft: Doch, sie wusste, dass ich es schreibe. Aber sie hat es jetzt erst gelesen, als wir im Urlaub waren.

Wann haben Sie geschrieben?

Düsterhöft: Nachts, am Wochenende und im Urlaub. Ich habe festgestellt, dass meine produktivste Zeit zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens liegt.

Beim Lesen hat man den Eindruck, dass Sie viele Erinnerungen aus Ihrer Kindheit verarbeitet haben?

Düsterhöft: Das ist vollkommen richtig. Das ländliche Milieu ist mir aus meiner Kindheit noch vertraut gewesen, das konnte ich mir gut vorstellen.

Als das Manuskript fertig war – was haben Sie gemacht, um es zum Buch werden zu lassen?

Düsterhöft: Ich habe es verschiedenen Verlagen angeboten. Das ging etwa über zwei Jahre. Dann wollte ein Verlag eine Leseprobe haben und hat danach gesagt: „Das machen wir.“

Was war das für ein Gefühl?

Düsterhöft: Ich habe es am Telefon erfahren. Man ist ja gespannt wie ein Flitzbogen, und ich fühlte eine sehr große Erleichterung und Freude.

Ruppiner Anzeiger, 2.8.2008