Leseproben:

 

Hermann Knehr

Möwen im Nebel

Weiß liegt der Nebel auf den Matten
und scheint sich mit dem Dunst zu mischen,
der auf dem See liegt und im Schatten
der fahlen Bäume, die dazwischen

wie Riesen stehen, starr und eigen,
bedrohlich wie in einem Traum;
ein Möwenschwarm steigt aus den Zweigen
und kreist aufkreischend in den Raum.

Mit ihren weiten Schwingen gleiten
sie schwerelos über die weiten
Gefilde, weiß bedeckt mit Schnee.

Der Flug, der ihre Flügel weitet,
mit einem großen Bogen breitet
er eine Kuppel übern See.



Orpheus und Eurydike

Noch während er sich umsah wusste er,
dass sie nicht folgen würde hinter ihm,
die Todesschatten lagen allzu schwer
auf ihrem Körper, welcher fast intim

gehalten wurde von dem jungen Mann,
der seine Arme schützend um sie legte,
als wollte er sie schonend dann und wann
aufmuntern, dass sie sich vorwärts bewegte.

Doch sie verharrte abwesend und fremd
mit einem leisen Lächeln im Gesicht
und wandte sich, und ohne Blick auf ihn

ging sie den Weg zurück, wobei sie nicht
verzweifelt, sondern seltsam heiter schien
und schwerelos in ihrem Totenhemd.

 

Fanny Hensel-Mendelssohn

Die Augen waren ihre Mitte,
die dunkelten, wenn er sie rief
und er ihr scheu mit einer Bitte
die Schulter strich, die etwas schief

den Rücken krümmte, ohne dass
es sie entstellte oder störte,
ein Makel der Natur, das was
man schnell vergaß, wenn man sie hörte.

Sie war brillant auf dem Klavier
und half dem Bruder dabei, der
sie liebte, doch nicht allzu sehr

ermunterte zu komponieren,
was sein Metier war, ohne ihr
zu schaden oder zu brüskieren.