Leseproben:


Hermann Knehr

Träume


Nachts im Traum im Unverwandten
lösen die Gedanken sich
und sie spinnen aus bekannten
Bildern eine Welt für dich.

Menschen, Städte, längst Vergessnes
bilden sich zu neuem Sinn,
halten dir ein unermessnes
Buch bizarrer Szenen hin.

Und du siehst bestürzt teils heiter
was die Bilder dir gebracht,
denn sie spielen Dinge weiter

die im Leben so nicht waren
und dir Wünsche offenbaren,
die du unbewusst gedacht.



Lilien


Der Blütenkelch gleicht einer Vase,
seitwärts gebogen und geneigt,
aus undursichtig weißem Glase,
das Lichter von Murano zeigt.

Die Kelche hängen an dem Schaft
wie Glocken, locker angebunden,
als hätten sie aus eigener Kraft
nach dem Erblühen nicht Halt gefunden

sich aufzurichten und zu leben
in ihrer jungfräulichen Reinheit;
so hat man euch auch in die Gruft

oft als Begleiter beigegeben,
als letzten Gruß und zum Geleit
mit eurem schweren, süßen Duft.



Die Flüchtlingsfrau


Sie war die Fremde, keiner kannte ihren Namen
und eines Tages war sie plötzlich da,
sie kam vom Osten, woher alle kamen,
von dem man wusste, dass dort was geschah.

Sie war sehr schweigsam und dabei sehr fleißig,
und nahm bereitwillig auch jede Arbeit an,
man sah ihr an, sie war so Mitte dreißig
und dass sie heimlich weinte, dann und wann.

Man hatte sie sogar ein wenig lieb gewonnen
und jeder grüßte sie sehr bald im Ort,
sie dankte, leise nickend und versonnen
und eines Tages war sie wieder fort.

Sie ging ganz leise, erst am nächsten Tage
bemerkte man das Fehlen dieser Frau,
bald war sie nur Geschichte, die nur vage
ein jeder kannte, aber nicht genau.