Leseprobe

Hanne Strack

mutmachrot. Gedichte




ich bin nur zu Besuch hier

weiß nicht recht
woher wohin

gekommen um zu gehen
hungrig am gedeckten Tisch
bleiben so viele Fragen
unbeantwortet
im Raum

mit wackliger Kompassnadel
Gegend erkunden
zögerlich
nach dem Weg suchend

entscheide mich
zu staunen

ich bin nur zu Besuch hier


Lyrik
ein Ventil
mein Ventil

Sprachgewand
ohne Netz und doppelten Boden
in dichter Formation
gefasst
zusammengefasst
zusammengezurrt
aus Wortfäden
zur Reißleine
vor dem Absturz

in
Freude Schmerz Angst Liebe

ausgedrückt
ausgedruckt
bevor verschluckt
im Schwarzen Loch
übersprudelnder Worte

gerettet
vor dem Vakuum löchriger Sprachlosigkeit



rote Linie

Du
bist die rote Linie
in meinem Leben

noch dünn gestrichelt
in den Zeiten
als das Leben wie ein Endlosfilm
sich abzuspulen begann

langsam die Zwischenräume schließend
sich verbindend
hinweg über Bergspitzen
und durch Untiefen

so rot so fett so stark

nie ausgeleiert
eher dem Stahlseil gleich
ü ber das wir balancieren
Abgründe im Blick
weit unter uns lassend
gegenseitig Geländer

nie Grenze
die rote Linie
sondern Weg

in Liebe



und doch!

nichts bleibt
wie es ist
nichts ist
wie es bleibt

alles fließt*
gewiss
ins Ungewisse

nichts wird
wie man denkt
nichts denkt
wie es wird

alles fließt
gewiss
ins Ungewisse

nichts hält
wie man hofft
nichts hofft
weil man weiß

alles fließt
gewiss
ins Ungewisse

und doch!

*Heraklit



trau dich

zu sagen
was ist
zu fragen
warum wann ob und wie

zu wünschen
zu berühren
Türen zu öffnen
Grenzen zu überschreiten
Rückzug eingeschlossen

zu danken
zu bitten
Enttäuschung zu ertragen

den Kopf leise
das Herz laut zu stellen

trau dich

über deinen Schatten zu springen
auch wenn du im Acker landest

oder willst du bis 100 warten?!



fühl dich umarmt

in schwierigen Corona-Zeiten
von Gedanken und Worten

gewärmt
mit einem Mantel
gewoben aus dem feinen Garn
der fürsorglichen Freundschaft

gedrückt
in den Träumen
die vier Meter Abstand
problemlos überwinden

versorgt
aus der einfachen Existenz
von Zuneigung

fühl dich umarmt
in der Erinnerung
an Nähe
und der Hoffnung
auf baldige
coronalose
wortüberflüssige Zeiten