Leseprobe:
Heike Wiezorek
Lust auf mehr
„Jeder die Hälfte, dann ist er unser“,
flötete Lars. Sie schlichen um den Wohnwagen herum.
Alles schien zu stimmen: die Ausmaße, die Inneneinrichtung,
der Preis. Die milde Herbstsonne schien sie außerdem
zu beeinflussen. Trotzdem zögerte Klara. „Bist
du sicher? Ich meine … Also, wir kennen uns ja noch
nicht lange …“
In diesem Moment kam die Händlerin auf sie zu. „Tut
mir leid, der Wagen ist schon so gut wie verkauft. Am Samstag
wird er abgeholt.“
Plötzlich reagierten sie wie im Fieber. „Er
gefällt uns so gut, er ist quasi unser Traumwagen“,
sagte Klara. „Ja“, sie beugte sich nach vorn, „wir
könnten gleich heute einen Kaufvertrag aufsetzen und …“
Lars nickte Klara zu: „Wir können auch morgen
in bar zahlen.“
Kurzum, sie erhielten den Wagen.
Im Frühjahr ging es ans Einräumen. Als erstes
Ziel suchten sie einen Campingplatz am Obermain aus. Am
1. April starteten sie gegen 8:00 Uhr. Gleich beim Verlassen
des Parkplatzes hörten sie ein knirschendes Geräusch.
Der Wohnwagen hatte ein parkendes Auto gestreift. „So
ein Mist!“, schimpfte Lars. Eine halbe Stunde suchte
er den Besitzer. Der führte sich gleich wie Rumpelstilzchen
auf. Als Lars per Handy die Polizei rufen wollte, beruhigte
sich der Mann: „Lassen Sie es gut sein.“ Er
rieb noch einmal über die Stelle. Dann reichte er
Lars zur Bestätigung die Hand.
„
Das fängt ja gut an“, knurrte Lars, als sie
endlich starteten. Die ersten Meter durch die engen Straßen
mit dem langen Gespann ließen beide tüchtig
schwitzen.
Auf der Autobahn begann ein echter Überlebenskampf.
Ständig fühlten sie sich bedroht von den riesigen
Lkws, die meistens schneller als die erlaubten 80 Stundenkilometer
fuhren. Kurz vor ihrem Ziel gab es einen Stau vor einer
Baustelle. Lars schaltete sofort das Warnblinklicht ein.
Klara schaute zufällig in den Rückspiegel, als
ihr total schwindelig wurde. Ein Lkw konnte nicht mehr
rechtzeitig stoppen. Stattdessen raste er laut polternd
nach rechts auf einen Parkplatz. Dann hörten sie Bremsen
quietschen und plötzlich einen lauten Knall, Metall
knirschte, Glas zersplitterte. Sehen konnten sie nichts,
denn langsam folgten sie der Autoschlange.
Lars stöhnte auf: „Hast du das gerade mitgekriegt?“
Klara strich über seinen Arm. „Ja, hab ich.
Wir haben überlebt. Welch großes Glück
für uns …“
Auf dem Campingplatz angekommen, tauchte die Frage auf:
Wie konnten sie den Wohnwagen auf dem zugewiesenen Ort
abstellen, ohne rechts oder links jemanden anzustoßen?
Klara verließ das Auto, um Lars einzuweisen, aber
irgendwie schien der sie nicht zu hören. Er rollte
einfach weiter zurück. Verzweifelt schlug sie mit
den Händen auf den Wagen und schrie: „Halt!“
Wenigstens das klappte.
Bisher war weit und breit niemand auf dem Platz zu sehen
gewesen. Nach Klaras lautem Einsatz stürzten plötzlich
ein Mann und eine Frau aus einem Zelt heraus. Sie liefen
auf ihren Oldie zu, vor dem der Wohnwagen gestoppt hatte.
Klara sah, dass nicht mal mehr eine Zeitung dazwischengepasst
hätte.
„
Herrgottsdackel, seid ihr zu blöde einzuparken? Gab
es euren Führerschein umsonst?“, schimpften
sie gleich los.
Klara stand da und wäre am liebsten im Boden versunken. „Tut
uns leid, wir sind Neulinge, das ist unsere erste Fahrt“,
stammelte sie.
„
Da ist eine Macke!“, schrie der Mann und rieb mit
dem Finger über die Stelle.
„
Nicht schon wieder“, stöhnte Klara leise auf.
Lars verließ das Auto und starrte auf das Gespann.
Etwas Unheimliches lag in der Luft. Der Mann richtete sich
langsam auf und taxierte Lars von oben bis unten mit strengem
Gesichtsausdruck. Dann atmete er tief durch. Plötzlich
aber grinste er Lars an: „So, so, Anfänger seid
ihr. Da müssen wir euch ja mal richtig auf die Sprünge
helfen.“
Und das taten sie. Mit vereinten Kräften stand der
Wohnwagen bald auf dem vorgesehenen Platz.
Die erste Nacht im eigenen Wohnwagen, die hatten sich Klara
und Lars sicher anders vorgestellt. Es reichte gerade noch
zu einem Gutenachtkuss, ehe sie tief und fest einschliefen.
Gegen Mitternacht schreckte Klara hoch, laute Geräusche
hatten sie geweckt. Sie lauschte, ein Uhu krächzte
wie in einem Krimi auf, wiederholte sich. Enten schnatterten
am nahegelegenen Fluss, Frösche quakten laut und in
der Ferne schrie ein Kuckuck, wieder und wieder. Klara
wälzte sich hin und her, irgendwann fand sie aber
doch noch etwas Schlaf.
Am nächsten Morgen roch sie Kaffeeduft. Die Sonne
schien durch die Dachluken und Fenster. War das ein Genuss!
„
Gut geschlafen?“, fragte Lars und überreichte
ihr eine dampfende Tasse.
„
Ging so. Hast du auch die vielen Geräusche gehört?“ Sie
schlürfte einen großen Schluck vom herrlichen
Gebräu.
„
Du meinst den Kuckuck? Der ist immer noch zugange.“
Er rückte ein wenig näher. Langsam streichelte
er ihr über den Arm, über das Haar.
„
Oho“, meinte Klara, „Liebe vorm Auf –“,
zu mehr kam sie nicht. Ein dicker Kuss bedeckte ihren Mund.
Kaffee tropfte auf das Bettzeug. Lars nahm ihr die Tasse
ab, stellte sie weit weg auf den Boden. Ehe sie sich versah,
schlüpfte er unter die Decke. Das war gar nicht so
einfach bei einer Bettbreite von 80 Zentimetern. Überall
stieß er an. Klara lachte leise auf: „Willkommen
zum Einweihungsfest!“ und schubste die Decke runter.
Die Kaffeetasse kippte um, egal. Lars schien das erst recht
anzutörnen. Überall spürte sie seinen Mund,
zunächst zärtlich, dann fordernd. Ein leichtes
Kribbeln durchzog ihren Körper. Sie wollte mehr und
stöhnte gierig auf. Langsam schob er sich über
sie. Klara schmolz dahin, als sie seinen Rhythmus spürte.
Dann strich sie heftig über seinen Rücken. Genau
in diesem Moment gab es einen lauten Knall, der sie erschrocken
einhalten ließ: Es war die Schiebetür, die den
Schlaf- vom Wohnbereich trennte. Diese hatte sich gelöst
und war ins Schloss gesaust. Lars stieß zufällig
mit einem Fuß noch dagegen. Bums, das klang wie ein
Schlussakkord. Alle Gefühle, die Lust auf mehr, waren
plötzlich verschwunden. Sie sahen sich an, dann prusteten
sie los.
„
Ja, ja, learning by doing, auch wenn‘s nicht immer
auf Anhieb klappt“, meinte Lars.
Etwas später hörten sie draußen einige
Leute reden. Leicht zerzaust, mit einer Flasche Sekt und
Gläsern bewaffnet, traten Klara und Lars zu ihnen
hinaus.
„
Hallo“, sprach Lars sie an, „dürfen wir
uns zu euch gesellen und uns vorstellen? Wir sind die Neuen.“
Acht Augenpaare sahen sie neugierig an.
„
Das ist Klara und ich bin Lars. Wir kommen aus Bochum.“
Während Klara Gläser verteilte, hörte sie
hinter sich eine Frau flüstern: „So, so, verheiratet
sind die bestimmt nicht, vielleicht deshalb so stürmisch?“
Peter, der sie gestern eingewiesen hatte, grinste sie an.
Dann hob er sein Glas und meinte: „Willkommen in
unserer Runde!“ Er prostete ihnen zu, dann fragte
er Lars: „Mei, habt ihr nicht bemerkt, dass euer
Wohnwagen Schlagseite bekommen hat? Warum wohl, ward’s
vielleicht etwas wild?“
Plötzlich lachten alle laut los. Nur Klara meinte
mit hochrotem Gesicht: „Was haltet ihr davon, wenn
ihr uns zeigen würdet, wie der Wagen wieder gerichtet
wird? Schließlich haben wir Lust …“
Als alle wieder losprusteten, fuhr sie stotternd fort: „Ich … Ich … meine
natürliche Lust darauf, richtige Camper zu werden.“
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