Alexander Frey: Silvester auf Ex. Heiter, satirische Gedichte

Leseprobe:

 

Prophetenwitz


Der Prophet im eignen Land
lehrt uns die Geschichte,
wird seit altersher verkannt -
darum schreib Gedichte.

Ein Gedicht, ob kurz, ob lang,
wird daran gemessen,
ob man sich erinnern kann -
oder schnell vergessen.

Der Prophet, der prophezeit
Unheil, Glück und Segen -
keiner weiss jedoch Bescheid,
gibt es morgen Regen.

Das Gedicht dagegen klein,
macht keine Versprechen,
will bescheiden artig sein
und ein bisschen stechen.

Hier ein Stoß und da ein Stich
und dort eine Spitze -
das Gedicht steht nur für sich
und macht gerne Witze.

Aber Witze können auch
ganz gemein verletzen,
können, wie es alter Brauch,
sticheln, stacheln, hetzen.

 

 

Mondgesicht


Es war einmal ein Mondgesicht,
das schrieb ein laues Herbstgedicht
und hielt sich, wie das oft und meist,
schon für den größten Dichtergeist.

Sein größter Traum jedoch fortan,
ein herzergreifender Roman,
ein Schauspiel wie noch nie erlebt -
wenn einer in den Wolken schwebt.

Das Mondgesicht hat Tag und Nacht,
die Zeit mit Träumen so verbracht,
fiel dabei in ein tiefes Loch,
in dem es leicht nach Moder roch.

Es sponn und phantasierte stur
von Liebe, Tod und Magerkur.
Dabei lag die Idee so nah -
das Drama - das es selber war.