(Auszug aus den Gewinner-Beiträgen im Literaturwettbewerb "Die Farbe Rot")

 

Carsten Rathgeber

rostige Zeit

Schwarze Jahre beginnen
Rechner führen von innen

Eure Tänze beruhen
Auf den Illusionen
Der Denker und Propheten
Ihr Schauen ist ein Sehnen

Sie kennen die tiefe Glut
Hier hetzt uns das rote Blut

Jeder gibt uns einen Sohn
Alle Panzer fahren schon
Nie war dieser Tag heller
Dein Verhör ist im Keller

Näher war mir nie der Herr
Hier höre ich ein Gewehr

(2.Preis)


Alexander Werner

Ein neuer Morgen

Sternenketten abgehängt,
die Mondessichel auch.
Das Schwarz zu Blau,
alltäglich Brauch.

Wie ein Feuersturm
das Sonnenrot.
Ein neuer Morgen
und das täglich‘ Brot.

Gold‘ne Kugel
im Zenit.
Die Sonne gibt,
die Erde zieht.

Und wieder rot,
die Dämm‘rung naht.
So wie man wirkt,
so erntet man die Saat.

(4. Preis)


Judith Ecker

Känkkäränkkä

In meinem Haar
findet ihr keine Spur
von Rot
und die Sprache
des Raben
ist mir fremd

Dennoch
die Blicke der Männer
sind lüstern
die der Frauen
kalt

Ich fürchte mich
vor den spitzen Krallen
junger Katzen
und doch soll ich es sein
die verbotene Träume
in euren Gärten sät

Ich wünschte ich wäre
was ihr in mir seht
dann würde ich euch
allesamt
an Samhain
zum Teufel jagen.

(5. Preis)

 


Bruno Rauch

Klangfarben


Ich stehe in der Warteschlange vor der Berliner Nationalgalerie. „Gerhard Richter Retrospektive“ prangt in großen Lettern auf dem Plakat, das den ersten Stock des Gebäudes teilweise einhüllt. Wie viele Menschen mögen wohl in der Schlange vor mir sein? Fünfzig, hundert? In langsamen Schüben bewegt sich die Reihe vorwärts, bleibt stehen, geht weiter, bewegt sich wie eine Raupe auf ihr Ziel zu. Ich schätze, in fünfzehn bis zwanzig Minuten werde ich am Eingang sein, bei diesem Tempo.
Die Luft ist lau heute, einem Frühsommertag, an dem die Sonne die Haut schon wohltuend wärmt. Das macht das Warten angenehm. Doch immer wieder schieben sich auch Wolkenbänke vor die Sonne und ein paar Regentropfen fallen daraus.
Die Menschen stehen in einer Zweierreihe an, nur gelegentlich unterbrechen alleine Wartende diese Ordnung. Vor mir steht eine junge Frau in roter Lederjacke und hautengen Jeans, ihre schwarzen Haare fallen in weiten Locken über die Schultern. Den Kragen ihrer weißen Bluse hat sie leicht hochgestellt. Sie trägt eine schwarze Ledertasche an einer Schulter und blättert in einer Zeitschrift. Wenn sich die Schlange etwas bewegt und ich auf sie aufschließe, kann ich von schräg hinten einen Teil ihres Profils erkennen. Sehe die Kontur ihrer Lippen, eine kleine Nase, deren Spitze leicht nach oben zeigt, ihre geschminkten Wangen. Sie ist bestimmt sehr attraktiv, denke ich. Wie sie wohl insgesamt aussieht? Ich wage einen vorsichtigen Blick in ihre Richtung. Sie bemerkt mich nicht, lässt sich nicht ablenken von ihrer Lektüre.
Da kommt mir der Himmel zu Hilfe, als er erneut einen Regenschauer schickt und ich meine Chance erkenne. Schirme gehen auf, ich lasse den meinen durch einen Daumendruck aufschnellen und biete ihr an, unter ihn zu schlüpfen. Sie wendet sich mir zu und spricht: „vielen Dank, das ist sehr freundlich von ihnen, aber es hört sowieso gleich wieder auf.“
Ich bin sprachlos! Sie ist überwältigend! Schwarze, in Locken fallende Haare rahmen ihr fein geformtes, ovales Gesicht ein. Vor mir steht eine bildschöne Frau mit schwarzen Augen, mit einem sinnlich geschwungenen Mund, darauf dunkelroter Lippenstift, der zu ihrer Jacke passt. Ihr Blick hypnotisiert mich auf der Stelle. Sie mochte knapp dreißig sein oder auch etwas darüber. Allein ihr Anblick war es schon wert, hier anzustehen. Ich warte gerne weiter, hier in ihrer Nähe.
Nach fünfzehn Minuten haben wir den Eingang erreicht und bin versucht, einfach hinter ihr herzugehen und dabei die Ausstellung an mir vorüberziehen zu lassen. Eine Weile lang erliege ich dieser Versuchung und folge ihr, immer in gebührendem Abstand, denn ich möchte sie weder bedrängen noch riskieren, dass sie mich für einen Stalker hält. Dabei verhalte ich mich tatsächlich so. Sie bewegt sich selbstsicher durch die Ausstellung, geht auf manche Bilder zielstrebig zu, passiert andere, ohne sie zu würdigen. Sie studiert bestimmte Bilder sehr genau, geht auf sie zu, wieder zurück, legt den Kopf schräg, sodass ihre Haare zur Seite fallen und macht sich ab und zu Notizen in einem Schreibblock. Vielleicht eine Kunststudentin? Doch in diesem Alter? Oder einfach eine kunstinteressierte Frau, Gattin eines reichen Ehemannes? Die Eleganz ihrer Kleidung würde dazu passen. Trug sie einen Ring? Vielleicht eine Touristin, die sich Berlin und seine Museen ansieht? Aber alleine?
Wie stark ich selbst Richters Bilder wahrnehme, hängt davon ab, wie sehr sie sich für sie interessiert. Wo sie langsam vorbeigeht, ziehe auch ich weiter, wo sie verweilt, bleibe auch ich. Ich verdoppele ihre Aufmerksamkeit. So auch bei einem Bild, das sie wieder einmal besonders lange betrachtet, zusammen mit anderen Besuchern. Ich stehe ein paar Meter hinter ihr und bin auf sie, auf ihre Figur und ihre Bewegungen fixiert. Vor meinen Augen habe ich habe das Bild ihres Gesichtes. Es hat sich in meinem Gehirn fest verankert. Als sie nach ein paar Minuten weiterzieht und den Blick auf das Exponat für mich vollkommen freigibt, findet vor meinen Augen eine Explosion von Farben im Format einhundertfünfzig mal zweihundert Zentimetern statt. Das Werk zieht mich sofort in seinen Bann. Ich trete näher an das Gemälde. Unzählige Schichten von Farben wurden aufgetragen, Pigmente haben sich vermischt, vermengt, vereinigt, sie wurden durch das Rakel ineinander gedrückt oder herausgerissen und liegen nun in einer rauen Struktur vor dem Auge des Betrachters, fesseln es. Auf diesem Bild haben Farb-Urgewalten geherrscht und eine Landschaft geformt aus Flächen, Kratern und Verwerfungen. Alle überhaupt möglichen Farben und Formen, sind in Flächen und Reliefs auf einem Bild vereint.
Tief versunken in dieses Bild erinnere ich mich an eine Aussage aus einem Interview mit der französischen Pianistin Helène Grimaud, die sagte, dass sie Klänge mit Farben assoziiere, ja sie sähe die Farben beim Spielen vor sich. [Auszug]

(1.Preis)

 

Alle weiteren Texte sind im Band „Auf der Halbinsel“ nachzulesen.