1. Preis, Kategorie Gedichte

Peter Frank

Wale

für Michael Haseleu

Gischtgestöber,
wenn sie springen,
ihre Schönheit zu zeigen
der blinden Zeit.
Ein letzter Tanz,
bevor sie hinabtauchen
in die nie endende
Nacht der Kalmare,
des Sieges, der Klage.
In ihren Augen die
Traurigkeit der Welt,
die Zärtlichkeit aller
Liebenden der Meere.
Gleitend durch die
Millennien, sanft
wie Velours, das
Flensmesser der Stille.
Graubärte, Barden,
die Trosse des großen
Gesangs heraufhievend
aus dem Dunkel der
Bärlappe, Farne,
schwer wie die
Vokale New Bedfords,
alt wie das erste Wort.
Ihre Wolkenfontäne in
den Himmel gewuchtet,
die Erde geschultert wie
eine schwarze Gitarre.

1. Preis, Kategorie Erzählungen (kurzer Auszug)


Benjamin Frech

Die Nüstern des Meeres


I

Wenn der Lastwagen einbog, wurde sein Körper wie mit Lederriemen gezogen. Den Kopf versteifend, einer wehrhaften Ziege gleich, blieb er an seinem Platz gegen die Seitenwand gepresst. Er zählte die Kurven und versuchte einzuschätzen, welche Richtung eingeschlagen wurde. Manchmal warf sie von einem Aufprall in die Höhe, wenn das Gummi der Reifen über Felsen rumpelte. Die Kinder beantworteten dies oft mit Schreien, die Frauen mit erschrockenem Seufzen. Nun nahmen es die schlaffen Körper erschöpft hin.
Bald war die Luft im Innern des Laderaums schwer vom Atem der Menschen und stank nach Schweiß; später auch nach Urin. Ein kleines Mädchen mit kurzen Locken, dessen Augen tief in ihren Höhlen von so dunkler Farbe, dass sie wie Tunnel tief waren, hatte sich neben der Ladeklappe übergeben. Die Mutter, die das bunte Kleid und das gefächerte Kopftuch der Yoruba trug, schaufelte das kleine Häufchen auf ihre Handfläche und warf es hinaus, unter der Plane hindurch, die wieder zurück an ihren Platz fiel.
Die Leute flüsterten gedämpft miteinander, nur selten wurde gelacht. Und trotzdem erschien die gespannte Stille so vieler Menschen auf so kleinem Raum ohrenbetäubend. Es waren natürlich auch einige Hausa dabei, die sowieso immer verschlossen waren wie Kühe, sodass man sich über sie erzählt, sie würden angestrengt auf eine Gelegenheit warten zu sprechen und dabei jede Pause versäumen. Doch in Ebonyi wäre ein solches Gefährt wie dieses als Einbaum voller Tölpel bezeichnet worden, die nur dem weisen Graupapagei ihre Geschichten erzählten, wo der doch das größte Plappermaul des Dschungels war. Diese starre Ruhe wäre in seinem Heimatdorf Nko am breiten und stolz dahin fließenden Oyono eine Unmöglichkeit gewesen. Zwei Fremde in einem Raum konnten hier das Rauschen der Regenzeit übertönen.
Adamu wollte gern lachen. Ein bisschen scherzen mit den Leuten. Das hätte ihn sicher beruhigt und den Knoten in seiner Brust gelöst. Doch die meisten der zwischen schmutzigen Tüchern hervorspähenden Gesichter wichen seinen Blicken aus oder lächelten nur milde, mit einer Bewegung, die den Schmerz des langen Sitzes anzeigen sollte.
Der grimmigste von allen war der junge Mann, den Adamu Französisch hatte sprechen hören. Er trug wie die beiden Fahrer die leichten Leinenkleider der Tuareg und hatte einen grünen Turban um den Kopf geschlungen, der ihm jedoch schon auf die Schultern herabfiel wie der Schwanz einer Schlange. Er hatte sich an die Wand zur Fahrerkabine hingesetzt und den Ellenbogen auf ein schwarzes Plastikfass abgestützt, welches das Wasser ihrer Schleuser führen musste.
Adamu wich, ohne sich sein leichtes Lächeln zu verkneifen, den düsteren Augen des jungen Mannes aus und fragte sich, während er seine Sitzposition auf den beiden Wasserkanistern, die er mitgenommen hatte änderte, sodass er nun mit der Schulter gegen die Wand kauerte und zum Ausgang hin saß, ob sein Grimm wohl dessen genereller Gemütszustand war. Wenn man ihn ansah, hob er meist herausfordernd das Kinn. Vielleicht wollte er aber bereits eine gewisse Furcht vor seiner Person säen, jetzt, noch vor einem Zeitpunkt in der Zukunft, wenn das Fass oder vielmehr sein Inhalt immer begehrlicher werden würde. Adamu schob den Gedanken beiseite und wickelte ihn hinter seinen Augen in ein Palmenblatt wie eine heiße Maniokstange. Unbewusst tastete er nach einem der Kanister unter seinem rechten Schenkel, in dem es kühl schwappte. Sie fuhren schon einen Tag lang, doch war ein Kanister noch bis zum Rand gefüllt.
In der dickflüssig gehusteten Luft bewegte sich auch die Zeit nur schwerfällig vorwärts. Das gedämpfte Licht des Tages wurde schummriger und der erste Abschnitt ihrer Reise neigte sich dem Ende entgegen. Nur noch eine und eine halbe Tagesreise hatten sie vor sich, um die brütende Hitze in der Umarmung der Sahara überwunden zu haben. Adamu war benommen und ließ sich von den Stößen des Wagens durchschütteln. Manchmal nickte er ein, in den zehrenden Schlaf der Reisenden.
Irgendwann saß mit einem Mal der kleine Junge neben ihm und schmiegte sich erschöpft an seine Schulter. Von der Berührung war Adamu aus einem Traum aufgeschreckt, um sich von dunklen Konturen umgeben zu finden. Erst langsam erkannte er wieder die kauernden Gestalten, die von der Nacht wie mit heißem Teer überzogen schienen. Und an seiner Seite die Wärme des Jungen, die die empfindliche Kälte der Wüstennacht noch spürbarer machte.
Zwischen zwei Ölfässern, das eine rosa, das andere blau angestrichen, hatte der Junge ihn gestern ausgemacht als sie am Stadtrand von Arlit, an einem staubigen Platz, an dem Busse und Transporter betankt wurden und verschleierte Frauen Datteln und Tomaten verkauften, darauf warteten, dass ihre Reise begann. Adamu hatte die Gesellschaft seiner Mitreisenden gescheut und sich abseits zwischen die Tonnen gesetzt, die von einem Bretterdach beschattet wurden. Der Junge war nach langer abschätzender Betrachtung seiner Person dazu übergegangen, Steine nach ihm zu werfen. Doch er traf nicht. Die Geschosse flogen nur knallend gegen die Öltonnen, sodass Adamus schmerzfrei aus seiner Lektüre einer zwei Tage alten Zeitung gerissen wurde. Der Junge war wie ein scheuer Hund gewesen, der zuerst das Fremde schnuppernd umkreiste. Wenig später hatte er, die Arme um die Knie geschlungen, an einer blauen Tonne gesessen und Adamus Erzählung von der Schöpfung des Mondes gelauscht.
Wie Effion Obasie der grimmigen Python schmeichelte. Ihr schimmerndes Schuppenkleid lobte und sie Gleitende nannte und Herrscherin der Wasserstätten. Natürlich gehörten alle Wasserlöcher und Ströme den Schlagen, doch sie sei die Höchste der Nässebewacher und Tümpelköniginnen. Wie er ihr versicherte, dass sie den Menschen den Tod zu Recht gebracht hatte, damals im Wettlauf mit dem strebsamen Chamäleon, das den Menschen das ewige Leben hatte verheißen wollen. Ihre Endlichkeit sollte sie an die kühlen Flüsse binden, die Zweibeiner, über die sie so still und heimlich herrsche. Er hatte eine Kalebasse mit Palmwein vor ihr mit beiden Händen und einer absurd tiefen Verbeugung niedergelegt. Die Schlange hatte seinen Ausführungen über die Schnelligkeit ihres Leibes trotz der ihr zur Strafe für die Todesnachricht geraubten Beine gelauscht und genüsslich den süßen Wein mit immer tieferen Schlucken getrunken. Er hatte auch eine Antilope erschlagen und ihr gebracht, sodass sie nun langsam damit begann das Tier zu schlucken, während er sie Regenbogengeist nannte und ihre Listigkeit preiste, sich in den Termitenhügeln zu verstecken und das Wasser der Erde aufzusaugen, sodass die jährliche Dürre über die Wesen der Erde kam und sie sich ihrer Allmacht erinnern mussten. Die Python hörte all dies sehr selbstzufrieden an und war mit vollem Magen bald eingeschlafen. Da näherte sich der Gott ihr und trennte mit einem Hieb seiner sichelförmigen Kirdi ihren Kopf von ihrem träge ruhenden Körper. Er brach ihren Schädel auf und entnahm ihm einen glänzenden Stein, den er in eine runde Form meißelte und in den Himmel hinauf warf, wo er sich nachts den Menschen als Mond zeigt, der ihnen durch seine Reflexion auf den Wassern stets den Weg zu den Seen und Flüssen zu weisen wusste.
Um Adamu herum mochte sich nun die Wüstenlandschaft erstrecken. Nur Ameisen und Skorpione stießen ihre Chitinbeine hier noch in die sonst leblose Staublandschaft. Trocken und karg. Vom Rieseln begleitete Windböen, heiß wie Flammenstöße. In diesem Glutbecken verstreut, die trügerisch blauen Teiche des Uranabbaus, der sich Schicht um Schicht in die fruchtlose Erde grub und in jenen Becken giftiges Wasser sammelte. Adamu konnte die leuchtenden Bassins in der flachen und nur mit wenigem Dorngestrüpp bewachsenen Wüste vor seinem inneren Auge sehen und aus seinem Bauch entstand die Weite um sie her, die von zitternden Windhosen durchmessen und von gemächlich mit den Köpfen wippenden Kamelen bewandert wurde. Er meinte ihre Leere in der Wölbung seines Magens zu spüren. Im Innern dieses rasenden Gefährts hätten sie auch ein Projektil sein können, hinaufgeschossen in den Kreis der Sterne. Von nichts umgeben als dem reißenden Wind. Den gähnende Rachen einer ausgeweideten Schlange hinab.
Der Junge rührte sich. Er sah hinab auf die kleine Gestalt, deren Gesicht er kaum erkennen konnte.
„ Masamba“ flüsterte er. „Erzählst du mir etwas?“
„ Jetzt nicht mein Freund. Versuch noch etwas zu schlafen.“
Er dämmerte weg und dachte an den Ort, an dem sein Leben begonnen hatte. An die tropfende Höhle des Dschungels, die seine Kindheit umgeben hatte. Mahagonibäume und der Bangossi hatten riesenhafte Kuppeln über ihm gebildet. Schlingpflanzen wanden sich um alles, es über die Jahre zu erdrücken. Triefende Fruchtbarkeit durchwatend, rieb man sich an den gewaltigen grünen Wänden, die mit Blüten besprenkelt waren. Wie die farbigen Linierungen eines Schlangenkopfes, konnten ihre zarten und präzisen Formen das Gift triefende ihres Körpers nicht verhehlen. Es hatte Adamu immer gegraut vor der Tiefe dieses mütterlichen Schoßes, den man immer wieder betrat um Mangos und Bananen zu pflücken. Eingefasst von zerfließendem Grün, in das sich die gespannten Körper der wilden Tiere legten und die raschelnde Natur die Luft mit Geäst und wippender Beblätterung rasierklingengleich durch schnitt, hatte sein Leben im nun fernen Nigeria seinen Anfang genommen. [...]