Die Gewinnergedichte des "Lyrikwettbewerbes 2009"


1. Preis

Regina Löwenstein

Fangen spielen

Erkennst du den Park wieder,
in dem wir die Sonne
mit Netzen fangen wollten,
wie einen Schmetterling?

Wir meinten, lachen zu müssen,
als sie zwischen Straßenlaternen schlüpfte,
eine Häuserecke umbog
und sich davonschlich.

Es war nur ein Spiel,
und ihre Strahlen winkten
wie zierliche Finger,
wie ein flüchtiger Schwur:
„ Ich verlaufe mich nicht.“

Doch noch heute
tasten wir alle Wände ab
in der Hoffnung, die Sonne
hat für uns irgendwo
ein Zeichen eingeritzt.

Wir spielen Fangen
mit der Vergangenheit,
und wie zerknüllte Steckbriefe
knistert das Laub
unter weglosen Füßen.


2. Preis

Günther Bach

Verdienste

Auf der unübersehbar
nach oben offenen Ackermann-Skala,
die das Einkommen
der deutschen Topverdiener verzeichnet,
erreichen die Zahlen erneut
traumhafte Werte.

Demgegenüber ist zu vermerken,
dass in Fragen des Mindestlohns
jede Bewegung stagniert.
Insbesondere in Verbindung mit Attributen
wie „flächendeckend“
ist nach Meinung
von gutbezahlten Experten
der Ruin der Wirtschaft
nicht mehr zu vermeiden.

Gewisse Zusammenhänge
sind da nicht auszuschließen.

Derart gut informiert
verkündet denn auch Frau Ungelenk
mit warnender Stimme,
dass es mit ihr nicht zu machen sei.
Statt dessen
empfiehlt sie ein Ende
der Neiddebatte.

Doch die Erklärung dafür,
dass jemand an einem Tag
soviel verdienen soll,
wie ein anderer
in einem ganzen Jahr
kann man von ihr
wohl auch nicht erwarten.


3. Preis

Hanna Fleiss

Geheimnisse

Mond,
Ich will das Geheimnis
Vergänglicher Sonnen ergründen,
Anzünden das Licht des Johanniskäfers
Um Mitternacht.

Jahrhundertströme
Hinab, zögernd, in die Tiefe
Tiefsten Erinnerns. Einfangen
Die Silben, Sätze des Ungedachten,
Des Verschwiegnen.

Aber die Erde.
Ein Lied aus Nebel und Rauch
Singt sie mir. Tau auf den
Gräsern, Tau auf den Herdfeuern.
Und Wega, die Alte, schluchzt.


4. Preis

Manfred Burba

Der Kleinstadtpoet

Manch einer ist nicht zu belehren
und ganz und gar darauf erpicht,
sein Innerstes herauszukehren
in einem lyrischen Gedicht.

Er möchte jedermann erzählen,
worunter er im Leben litt
und was ihn für Gedanken quälen
und welche Meinung er vertritt.

Doch fehlen ihm sowohl Erfahrung
als auch Talent auf dem Gebiet,
was er bei seiner Offenbarung
nur allzu gerne übersieht.

So wählt er stets dieselben Worte,
lässt Reim und Rhythmus außer Acht
und Verse von der schlimmsten Sorte
sind schließlich zu Papier gebracht.

Die Tageszeitung druckt bisweilen,
was er in Strophenform verbricht,
und mancher Leser liest die Zeilen
und denkt: Welch herrliches Gedicht!


5. Preis

Hans-Jürgen Gundlach

Mein Onkel Max

Sein Haus - es machte nicht viel her:
die Oma wohnte kostenfrei
ganz oben, und darunter er.
Für sie zu sorgen fiel ihm schwer.
Im Erdgeschoß die Schneiderei.

Max Glister, Herrenschneider, las ich,
als ich ihn endlich mal besuchte.
Ein Sohn, der seinem Vater glich,
doch nun allein und wie für sich
so manchen reichen Herrn betuchte

mit edlem Zwirn und Eleganz,
im alten Stil, von Hand gefertigt,
gedieg`ne Arbeit, ohne Glanz.
Zu schlicht für jenen eitlen Tanz
der Wunderjahre, überwertig.

Primaner war ich, darauf stolz.
Er hatte Schule kaum genossen,
war überhaupt aus andrem Holz.
„ Ach Schule!“, sagte er.“Was soll‘s.
Auch anderswo wird Geist vergossen.“

Für eine Woche war ich Gast.
Ich kam vom Dorf und endlich raus,
ein junger Mann, der noch nicht passt,
voll Wissensdurst und Gier und Hast.
Er kannte sich auch damit aus.

Und ruhig hat er mir erzählt
von seinen Lehr- und Wanderjahren,
in nackten Worten, ungewählt,
und hat mir dabei nichts verhehlt,
von all dem, was ihm widerfahren:

Worüber man woanders lachte,
woran man litt, womit sich quälte,
was man vom deutschen Nachbarn dachte,
als jener böse Geist erwachte,
Max sich die falschen Freunde wählte.

„Sieg Heil!“ gebrüllt für´s Nationale,
die großen Worte, so entbehrlich,
mit heißem Herzen für´s Soziale
gekämpft, gezweifelt viele Male.
Doch Meinung sagen war gefährlich.

„Für Führer, Volk und Vaterland“,
„ gefallen auf dem Feld der Ehre“ -
nur Lügen, ausgestreut wie Sand.
„ Die Hybris hab ich spät erkannt,
ich ging noch einmal in die Lehre!“

Und ich mit ihm. Er ließ mich sehn
die Wahrheit hinterm großen Worte,
ließ mich in Lazarette gehn,
das Schreien hören und das Flehn,
in Lager und an andre Orte.

Seh Männer, Kinder, Frauen
gefesselt an der Grube stehn,
Soldaten, die sich danach trauen,
aufs Massengrab hinabzuschauen,
seh schwarz-weiß-rote Fahnen wehn.

„Mein Bruder - kurz vor Schluß gefallen,
mein Freund, der mir das Leben schenkte, -
ich seh ihn seine Fäuste ballen
und hör` ihn letzte Worte lallen,
bevor ein Kriegsgericht ihn hängte.

Doch die Verbrecher dieser Zeit?
Ach, all die Führer und Juristen,
in ihrer Angst und Eitelkeit
mitschuldig an dem großen Leid,
tun so, als wenn sie gar nichts wüssten.

Und ich blieb völlig unversehrt,
sechs Jahre lang, ich kam davon.
Das Leid des Kriegs - mir blieb‘s verwehrt. -
Vielleicht hab ich dich was gelehrt,
dich, meiner Lieblingsschwester Sohn.“

Er sprach von Glück, von Irrtum, Schmach,
vom Krieg und der Verblendung,
die über ihm zusammenbrach,
von Scham und Schande und danach
von klarer Sicht und Wendung.

Und ich mit meinen achtzehn Jahren
sog all die Schrecken in mich auf.
Er konnte sie mir offenbaren,
als wären mir sie widerfahren,
nahm meinen Schmerz in Kauf.

Er saß da, so wie Schneider sitzen,
in ihrer Werkstatt auf den Tischen.
Ich sah die flinke Nadel flitzen
und Tränen in den Augen blitzen
und hörte Bügeleisen zischen.

Noch heute seh ich sein Gesicht,
mit Ernst mir offen zugewandt.
Ich denke an sein inn´res Licht
an seine Worte, ihr Gewicht
und weiß: Das hat Bestand.


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