Die Gewinnergedichte des Lyrikwettbewerbes 2009


6. Preis

Christine Omar

Halte stets ein wenig inne

Halte stets ein wenig inne,
Nimm dir Zeit für deinen Test.
Ist es noch in deinem Sinne
Was du tust und was du lässt?

Sind es noch die eigenen Worte,
Die du sagst und die du denkst?
Ist es noch dein eigenes Lächeln,
Das du Tag für Tag verschenkst?

Oder bist du angepasst,
Unversehrt doch stark verblasst?
Legst du Deine eignen Karten
nur wie andere es erwarten?

Halte stets ein wenig inne,
Nimm dir Zeit für deinen Test.
Ist es noch in deinem Sinne
Was du tust und was du lässt?

Hast eine Maske, die du trägst,
Während du Sicherheiten pflegst?
Und nur im kleinen Rahmen schwimmst,
Damit du dich nicht übernimmst.

Wie alle täglich durch dein Leben rennst,
Bis du im Alter dann erkennst:
Es war alles nur Fassade
Wie schade!


7. Preis

Hermann Josef Schmitz

du gingst
ü ber leuchtende dezemberwälder
hinweg
das gesprochene wort
die erinnerungen
den feinen stoff
und einen letzten herzschlag im gepäck
du gingst
am verschlossenen brunnen vorbei
das milde licht der späten tage
hüllte die weite in nebelblau
gingst du
ü ber leuchtende dezemberwälder
entlang der chiffrierten steine
einen letzten biss vom gereiften apfel
und ein lachen über dich selbst
gingst du
ü ber leuchtende dezemberwälder
an silbernen flüssen
baumgrünen horizonten
hinaus
bis zu den himmeln
hinauf
gingst du
und es war gut


8. Preis

Eve Herzogenrath

Mit diesem Kind darfst du nicht spielen

Mit diesem Kind darfst du nicht spielen
Sagte die Mama
Doch gerade dieses Kind
Das war für mich 1 A
Es hatte Stolz, es hatte Mut
Und jede Menge Power
Doch lagen die Erwachsenen
Buchstäblich auf der Lauer
Dass niemand mit besagtem Kind
Womöglich Freundschaft schloss
Wir Kinder fragten alle uns
Was haben die denn bloß?

Das Kind, es war nicht dumm, nicht faul
Es hatte keine Krätze
Na ja, die Eltern waren arm
Die Mutter stets in Hetze
Sie putzte abends Treppenhäuser
Und morgens noch Büros
Am Wochenende dann im Club
Versorgte sie die Clos
Nichts auszusetzen an der Frau
Die Wohnung war adrett
Und wenn man ihr begegnete
war freundlich sie und nett

Was war denn dran an diesem Kind
Dass wir es meiden sollten?
Wir ließen nicht mit Fragen nach
Weil wir es wissen wollten
Der Vater trinkt, gestand Mama
Nach langem Hin und Her
Er sei ein Faulpelz, munkelt man
Und arbeitet nicht mehr
Hat keine Freunde und kein Geld
Und schlägt auch Frau und Kind
Ich möchte nicht, dass du erlebst
Wie schlecht die Menschen sind

Was hat das Kind damit zu tun?
Schrie ich nun voller Wut
Hat keine Chance zu beweisen
Dass es nichts Böses tut?
Damit ihr‘s wisst, erbost ich rief
Ich war bei ihm zu Haus
Der Vater sitzt im Rollstuhl dort
Und kommt nur selten raus
Er hatte einen Unfall einst
Mit seinem Einsatzwagen
Hat seit dem keine Arme mehr
Womit sollt‘ er denn schlagen?!
Ich weiß, wie schlecht
Die Menschen sind
Das konntet ihr mich lehren
Mit Tratsch, Verleumdung, Munkelei
Und niemand kann sich wehren


9. Preis

Wachtang Budagaschwili

„Die Nullen-Ballade“

Viele große, dicke, runde
Zahlen sind in aller Munde.
Viele Nullen - Mensch und Geld,
Das regiert unsere Welt.

Wirtschaftsbosse, Ölmonarchen,
Trickbetrüger, Oligarchen,
Tausend Köpfe - null Moral,
Wichtig - ich. Der Rest - egal.

Hundert Meter lange Yachten,
Hermelinumnähte Trachten,
Bentley, Maybach, Porsche, Benz,
Niemand hat‘s, doch jeder kennt‘s.

Reiche reicher, Arme ärmer,
Seelen kälter, Erde wärmer,
Pole schmelzen, Wald verbrennt,
Ein Mogul wird insolvent.

Schwere Konten, leichte Frauen,
Bäume fällen, Häuser bauen,
Taschen tief, Gewissen seicht,
Geld gehäuft und nichts erreicht.

Geiz zu geil, die Welt zu stützen?
Was wird Reichtum morgen nützen,
Wenn der heut‘ge schöne Tag
Unser letzter werden mag?


10. Preis

Peter Huber

Abraxas

Alter Vogel,
Schrei, schrei dich
Von deinem Glockenturm
Dem Gottvolltag
Entreiß die Sonnen
Schicht um Schicht und
Das Weltenjahr zerbricht
Auf deinem Haupt

Nun flieg:
Zerreiß dein Klagegefieder,
Hör nur wie es, nachtentwunden
Im Stern deiner Geburt
Für dein Verklingen spricht

Du bist außen, du bist innen
Du bist Blut, das
In unsren Wiegen steht
Und keine Lüge treibt dich
In des Schlafes Scheunen mehr

Hast die Dämmerung dir gesattelt
Sporenloser, Windgemahl
Am durchgekauten Wort, an dem
Ich mich noch labe
Ist deine Brut schon längst
Erstickt

Da ringt mit sich
Im Krallengrab des Schlangenfußes
Die stummgedrehte Welt
Ein Abend sinkt, ein Morgen geht
Verleuchtet, unbekräht
Und Schild und Geißel hängen
Schlaglos in der Schattenschale

Alter Vogel,
hast um uns geschrieen
Und unter dem Schlag aller Glocken
Dein Haupt verloren

Wir tragen die Wiegen
Zurück in die Scheunen