Die Gewinnergedichte des "Lyrikwettbewerbes 2012"




1. Preis

Manfred Burba

Herbstgewitter

Die Blätter wirbeln durch die Lüfte
und sammeln sich am Straßenrand,
der Wind jagt dunkle Wolkenfelder
mit Blitz und Donner übers Land.

Um mich herum verstummt das Leben,
die Bäume neigen sich herab,
es rauscht und tobt in ihren Gipfeln
und manchmal brechen Zweige ab.

Dann fallen erste Regentropfen
und steigen als Fontänen auf.
Der Himmel geht im Chaos unter,
ich blicke sorgenvoll hinauf

und suche noch nach einer Bleibe.
Da plötzlich bricht das Wetter los.
Der Regen läuft an mir herunter
und meine Nerven liegen bloß.

Ich finde Schutz in einer Scheune,
die steht als letzte Zuflucht da.
Ich bin durchnässt und außer Atem,
erschöpft und dem Verzweifeln nah.

Doch dann ist alles schnell vorüber,
die Sonne scheint, der Weg ist frei.
Die Regenfront ist abgezogen
und das Gewitter ist vorbei.


2. Preis

michael starcke

auch heute

auch heute
werden briefe geschrieben,
die schweigen verbreiten.

auch heute
wird ein regenschirm überschnappen
und einkerbungen entdeckt werden,
in balken geschnitten.

eine behörde wird
menschen überlisten,
die naiv genug sind
und zwischen wachen
und traum wünschen,
ein olivenbaum sein zu wollen
im nächsten leben.

mit einem anliegen
wird man vielleicht
von einer beerdigung zurückkehren
oder an einer stelle lachen,
was kein anderer versteht.

auch heute
werden wir gewahr werden,
dass selbst das unbedeutendste ereignis
niemanden vergisst.


3. Preis

Norbert Rheindorf

Niemand

Gesenkte Köpfe
Hände suchen Halt
an den Armlehnen
von Wartezimmerstühlen
Stangen
in Straßenbahnen
an Aktentaschen
im Gewühl auf den Straßen

Gesenkte Köpfe
sprachlose Münder
im großen Nebeneinander
fremder Körper
das Blickfeld gefesselt
in Bodenhaltung

egal
wo die Menschen stehen
sie wären gerne
weiter oben
eine Hierarchie
aus Geld, Posten und Dingen
mit Auslegware aus Wichtigkeit
unterschiedlicher Qualitäten
fordert ihren Preis
im Bekenntnis
verkniffener Lippen

weiter oben
wohin sich niemand
traut zu schauen
schaust du einen direkt an
und spielst mit dem Angebot
eines Lächelns
herum
ein bisschen
feixend
weil es niemand sieht

es ist dein Faustpfand
das niemand gehört

ich wäre gern
niemand


4. Preis

Hans-Walter Voigt

Die Pianistin

Für Sanny

Da steht sie auf der Bühne,
von tausenden Blicken umsäumt:
ihr Lächeln, ihr Blick, ihre Miene -
so schön, wie es keiner erträumt.

Stürmischer Beifall: ekstatisch,
grenzenlos, freudvoll-verzückt.
Hymnen des Lobes, fast Tränen
für das, was so tief beglückt.

Der Lärm verstummt, ganz stille
verneigt sie sich vor dem Beginn,
und getragen gleiten die Finger
ü ber die kühlen Tasten dahin.

Die Töne wehen gelassen,
fast lautlos durch den Raum,
con grazia, mit Anmut,
so zart, man merkt es kaum.

Die Hände werden schneller,
bald stürmisch, furios -
und dann, nach dem Crescendo:
vollendet, virtuos.

Die Melodien windig wirbeln
ü ber die Häupter, genial.
Ein letzter Reigen, ein Zwirbeln -
dann wieder Stille im Saal.

Und schon Applaus der Gäste
mit Bravour und Hymnen vermischt,
Blumen, Winken und Danken,
eh´ der letzte Leuchter erlischt.


5. Preis

Karin Posth

manchmal ohne demut

das alter ruht im gelebten. seine
tage zwingen dich nicht mehr.

schön in gewesenem, wie eine auslaufende
sonne über herbstlichem baum,

der nach erde riecht und nach staub. im
frühjahr kommen seine früchte nicht mehr samten.

lebenszeiten hängen an den zweigen,
gelb und braun warten sie auf letzte zeichen.

manchmal ohne demut in rot und lila,
ungezähmt und ein wenig verrückt.

 

 

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