Die
Gewinnergedichte des "Lyrikwettbewerbes 2015"
6. Preis
Michael Starcke
ein wahlsonntag
ein hund trottet am
rand der straße entlang,
wie von unsichtbarer
hand geführt.
stille herrscht,
als erwarte sie
das kommando,
auf die plätze fertig los
oder einen augenblick
regenfreier extase.
schon nach ersten
vorläufigen ergebnissen
aus dem rathaus könnte
sich vielleicht jemand
glücklich schätzen
in der dämmerung.
unerwartet ist auch
nichts anderes als die
melodie eines liedes,
das den hergang, in
blinder liebe verbunden zu sein,
nicht zu deuten weiß.
nach allen erfolgen,
katastrophale kümmernisse,
ruhen die strategen aus.
7. Preis
Jan D. Stechpalm
Das neidische Wort
Ein Verb traf auf ein Substantiv,
das jammerte und seufzte tief.
Da fragt’ das Verb: „Was ist passiert?“
Das Substantiv sprach leicht geniert:
„
Ach, schau: mich gibt’s in allen Fällen,
doch nie kann ich die Zeit verstellen.
Du siehst Vergangenheit sowie Futur;
für mich gibt’s Ein- und Mehrzahl nur.“
Das Verb erwiderte darauf:
„
Jetzt spiel Du Dich nur nicht so auf!
Der ganze Satz dreht sich um Dich,
und niemand kümmert sich um mich!
Tätest sicher noch mehr jammern,
tät Dich die Zeit ständig umklammern!“
Sprach’ s und beugte sich vor Lachen,
um gleich im Perfekt zu erwachen.
8.Preis
Volker Teodorczyk
Die letzte Reise
Die Argumente sind nicht schlüssig
Und auch die Gründe nicht verständlich
Ich bin des Lebens überdrüssig
Doch hoffnungsvoll, denn es ist endlich
Ich mag nicht mehr in dieser Weise
Die sich ernüchternd Leben nennt
Noch mitzufahren auf der Reise
Bei der man nicht die Ankunft kennt
Ich weiß auch nicht, auf welche Art
Ob wach, ob wirksam still gestellt
Sie sich gestaltet, meine Fahrt
Wenn sich der Tod dazu gesellt
Bestimmen möchte ich den Tag
Die Stunde und auch die Station
Und steige dann, wenn ich es mag
Ganz einfach aus, ich schaff das schon
9. Preis
Sigune Schnabel
Stromlauf
Unsere Flüsse driften auseinander.
Immer mehr Land
sammelt sich zwischen uns.
Ich bäumte mich auf
und warf stets von neuem
Sand in die Strömung,
doch die Wellen leckten
nur an den Rändern
und wichen aus.
Heute messe ich die Hügel in Versen
und lege Worte in die Täler.
Stürme graben Stimmen
aus den Buchstaben.
Im Fallen
werden ihre Hülsen
zu Schnee.
10. Preis
Karin Posth
fotos auf facebook
als deine sinne die herrschaft über dich
verloren, schnitten deine freunde
mit fotohandys
taktlos dein gesicht heraus.
du mit verrutschten zügen,
verdrehten augen. gewagte,
nicht wieder löschbare bilder.
greifbar am bildschirm für alle.
in dieser gläsernen welt suhlen sich jetzt
surfer. tagein, tagaus. jahre, nein jahrzehnte
vergehen. du erinnerst dich kaum, doch
alle deine bilder bleiben sicher verwahrt.
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