Die Gewinnergedichte des Lyrikwettbewerbes 2018


1.Preis

Peter Frank

Heiligenblut

Die Höfe
wie Laternen
in den Berg gehängt.

Seit fünfhundert Jahren
stapfen sie durch Schnee,
drehen den Stern am
hölzernen Stab,
singen das Hirtenlied,
singen die vierzehn Strophen
sechzig Mal in der Nacht.

Geduckt ins Dunkel der Stuben,
als stemmten sie die Balken,
Obstbrand in den Kehlen.
Im Krieg sangen die Frauen.

Hinterm Stall,
schläfriges Schnauben,
eisig die Nägel,
Rippenbogen,
ins Licht geschnitten
von der Sichel des Mondes.


2. Preis

Carsten Rathgeber

Sommer

Ein Köter jaulte
Inmitten der Hitze
Demonstration der Sonne
Gegen die Macht der Schatten

Die Wege atmen Staub
Alte Türen knarren
Und Gewitter harren
Ich denke buntes Laub

Deine Augen schlafen
Ein Gurren der Tauben
Raben klauben Trauben
Alle Herzen hoffen

Die Katze zischte
Als du versteckt fauchtest
Im grünen Kostüm
Gegen all die Geschichten


3. Preis

Eline Menke

Festmahl

Alles in Blau
getaucht, rundum angemalt
mein Haus
ist eine Insel
im Meer.

Fische bringen
Worte vom Meeresgrund
die ich
auf der Zunge
wärme.

Buchstaben
die noch zappeln
zähme ich
in salziger
Suppe.

Zum Festmahl
lade ich
Sätze
ins Boot ein
um zu entkommen.


4. Preis

Volker Teodorczyk

Zwischenwelt

Ich bin nicht ihrer Blicke Ziel
sie dringt durch meine Hülle
es wirkt befremdlich infantil
erdrückend ist die Stille

In einer Welt, in der zumeist
Gedanken zwanglos schweben
dahin scheint sie mir fortgereist
aus ihrem wahren Leben

Ein Ausflug in den Zwischenraum
zum wiederholten Male
doch jeden Flug begrenzt der Saum
der Geistesareale

Dann endet ihre Exkursion
in die Gedankenstollen
und statt verstummt und monoton
bestimmt ein waches Wollen

Mich treffen Blicke, fest und klar
Standfestigkeit statt Schweben
berühre sanft ihr weißes Haar
sie ist zurück im Leben


5. Preis

Rainer Gellermann

Neujahrsabend

Ein kleines Stückchen Glaube,
ein großes Stückchen Gier.
Am Mond glänzt goldner Eifer,
im Mondlicht eifern wir.

Fragen wie Tropfen
rieseln herab.
Schließe die Augen,
Denken lenkt ab.

Ein buntes Schiff voll Menschen,
ein weißes Blatt Papier.
Die See schreibt Bootsgeschichten,
das Ufer schreiben wir.

Fragen wie Tropfen
fließen dahin.
Es neigt sich die Waage
zum Risiko hin.

Ein schmaler Schatten Hoffnung,
ein breiter Schatten Krieg.
Maschinen rechnen Reste
von dem was übrigblieb.

Verdrehte Fragen,
ein Tunnelblick.
Lawinen rollen,
blick nicht zurück.


6. Preis

Heike Streithoff

Die Blätter fallen

Die Blätter fallen.
Villenstill, Kreissägen optimieren
Gewinnspannen.
Kinderwägen eingemummt,
Zweige knacken.
Über Verhärteten.

Die Blätter fallen.
Nachtlager in laubigen Gassen.
Jogger schnaufen unter kühlem Schweiß.
Brücken endloses Rauschen
Der Himmel dunkel erscheint.
Weißer Hauch.

Die Blätter fallen.
Verkehrsströme zischen zu den Auen.
Der Fluss dahinplätschert
im Frühfrost des Winters.
Beheben gehen.
Mit Laubgeräusch.

Die Blätter fallen.
Kronen leer im Nebeldunst
Nässliche Luft über dem Ufer der Stadt
Sehnsucht mit Neigung zum Schweigen
Rote Lichter stolpern.
Laubberge Gebraus.


7. Preis

Magnus Tautz

Masuren

Was wir sagen wollen, steht bereit:
kläffende Hunde an den Straßen,

doch wir sagen nichts, nicken,
stimmen der Landschaft zu, stehen

knietief im Banalen, nennen es
Wäscheleine, Bunker, segelnde Fische,

ein ausgestopftes Kloster schwebt vorbei,
eine kleine liederliche Wolke, niemand

hat hier mit Regen gerechnet, am Ende
geht’s uns wie dem Zauberer, holen ergeben

gelbe Bälle aus den Ärmeln, streifen
Wasser aus dem Haar und schütteln

die Kugel:
Schnee fällt auf schwarze Häuser.


8. Preis

Hanna Fleiss

Ortsbesichtigung

Wieder die Orte.
Fraglich fast, warum sie noch
erinnerlich. Der Fluss der Zeit
begräbt die Toten.

Kind sein, wieder Kind.
Sterne im Sand, die Asphaltsonne
mit dem Geruch von gestern,
den Tag leben. Wer das könnte.

Du versicherst dich.
Wie einst deine Wolken von
schöner Weiße. Dein Haus war das Nest,
deine samtene Höhle.

Die Welt von damals.
Das Geviert der Erinnerungen
entlässt dich nicht. Wie Rauch die Zeit,
die ins Nichts verweht.


9. Preis

Thomas Barmé

über wasser halten
sich
die schatten
die schwarzfahrer

bevor die finsteren
sklaven der zukunft
vom licht ergriffen
bringen die hoffnungsträger
wieder eine nacht übers herz
zu wege und zum schweigen

von da an aber
zählt nur die liebe
die dunkelziffer
der sterne


10. Platz

Vera Hewener

Herbstfieber

Die Stadt trägt schwer am Blättern ihrer Bäume,
die ausgezehrt im Feuerrot verglühn.
Im strengen Wind zerstoben Fieberträume,
wenn auch die Amsel weiterschaukelt kühn

im Karussell der Äste. Die Wolken brettern
im Schnelldurchgang voran. Was wird sich mühn,
Schritt zu halten mit den rauen Wettern,
wenn nur noch Herbstzeitlose in den Gärten blühn?

Aber im Fluss die Schwäne treiben lautlos
durch Wind und Kälte, als wären Jahreszeiten
bloß Erfindung, Flunkerei des Kosmos,

den tagesfrühen, blinden Dunkelheiten
Bedeutung zu verleihen, die sich ausdrückt
in Gewittern, der Lebenslust entrückt.