Die Gewinnergedichte des Lyrikwettbewerbes 2019


1.Preis

Kurt Eimers

garzweiler zwei

das land liegt wie vergessen in der sonne
der wind bläst aus dem nichts
und man wird das gefühl nicht los
dass irgendetwas hier nicht stimmt
das auge findet keinen halt
wegweiser wissen nicht wohin
die dörfer menschenleer
die häuser fensterlos
die türen offen und die mauern blind
ein birnbaum steht uralt
die früchte sind bedeckt vom staub
der aus ruinen weht
und schmecken dennoch süß
zum allerletzten mal
holen die allerletzten bauern
die allerletzte ernte ein
noch steht der hof wie eine festung
seit hunderfünfzig jahren steht er so
so lange werden die nicht leben
die seinen tod beschlossen

wer weit genug nach osten schaut
beginnt zu ahnen was da kommt
was sich da langsam näher schaufelt
der große gleichmacher
der große reichmacher
die abbruchkante


2. Preis

Peter Frank

Warften

Häuser,
als hingen sie im
Spiegel der Luft.

Wer hier lebt,
hütet sich vor großen
Worten,

beherrscht
das alte Handwerk des
Zuhörens,

erlernt
in der Werkstatt des
Schweigens.

Gespräche
des Windes mit den
Wolken.

Die
uralten Schriften der
See,

archiviert
in den Gesichtern,
den Steinen.


3.Preis

Melissa Tara Nielsen

Atelier

Ich bin eine andere geworden,
seitdem ich das letzte Mal
in deinen Räumen war.
Es ist jetzt Zeit.
Ich möchte, dass du mich malst.
Ich lege mich hin für dich.
Wie Judith für Klimt. Iris für Modigliani.
Und die roten Mädchen aus Paris für Renoir.
Ich möchte, dass du mich in deine Farben tauchst,
bis ihr Öl von meinen Haaren tropft,
und über meinen Körper fließt,
zwischen die Finger deiner Hände,
die meinen Formen folgen,
wie ein Töpfer den Rundungen feuchten Tons.
Siehst du nicht, wie er sie küssen will
und hält, am Höllentor? Rodin.
Wie sie sie hält? Manet. Chagall:
Wie er sie liebt?
Lass ihn sie küssen und halten.
Ein Maler wie Klimt
ließ ihn sie küssen
und halten.


4. Preis

Alfred J. Signer

Suomi

Hier riecht es nach
Flössertrupps und Sägemehl,
Timberjack und Blaubeersaft.

Die Pinijo fährt
durch Schleusen und Kanäle von
Savonlinna zur Enge Karvio.

In Valamo
keltern Mönche Beerenweine,
locken zum Borschtsch im Kloster.

Weiterfahren
Vom Kermajärvi bis Pielinen Koli
zieht das Strassenband gen Nordost.

Der Škoda rollt
ü ber Ölsandwege im Meer der Bäume,
auf schmalen Dämmen, im Wasser schwebend.

Endlos wechseln Seen und Wälder.

Da sind Leute.
Finnisch ihre Sprache.
Waldmenschen.


5. Preis

Manfred Burba

Klimawandel

Zum UN-Klimagipfel
2019 in New York

Beim Klimawandel geht es nun
schon bald um Kopf und Kragen,
weil viele reden und nichts tun
und viele auch verzagen.

So aber geht es nicht voran,
für uns und unsre Erben,
da bleibt uns nur noch irgendwann,
gemeinsam auszusterben.

Wir brauchen einen Klimaplan,
und zwar in allen Ländern:
Mit Worten ist es nicht getan,
es muss sich auch was ändern.

Die Menschheit weiß es nur zu gut,
will aber nichts bewegen
und wenn man nichts dagegen tut,
wird sie sich auch nicht regen.

UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung
vom September 2015.


6. Preis

Hanna Fleiss

Elfter September

Was wir hörten:
Schüsse in Santiago, Hubschrauber,
Panzer, Bombardements. Großes
Aufräumen der Verräter.

In der Moneda ein Präsident,
Freiheit in zerbrochenen Händen.
Auf der Isla Negra der alte Dichter,
allein, inmitten von Versen,
Seesternen und Muscheln.

Einer sang:
Kommt die Taube zurück,
wird ein neuer Stern geboren.
Es sangen wohl auch Vögel,
Frühling war‘s in den Straßen
der Stadt Santiago.


7. Preis

Edda Gutsche

Finlandia

Noch nie bin ich so weich
auf einem Himmel gelaufen.
Riesenblauer Trichter –
all sein Grenzenloses
will ich für mich.

Einst verlor ich den Anfang.
Mich verkannte das Ende.
Dann hab ich die Erde
ihren Blumen geschenkt
und nur den Himmel behalten.

Kein Pfad dazwischen.
Ich lerne Seide weben
und lege dich darauf.
Der rauschende Himmel
wird unser Bett sein.


8. Preis

Magnus Tautz

Aus den Kulissen

treten und an nichts anderes
glauben als an diese Übung,

aufs Blaue schlagen, bis Gelb austritt,
Fadenkreuze vernähen mit dir.

Knöpfchenweise reißen wir betrunkenes
Licht in uns auf, lieben ohne Begabung,

schreien das Passwort in eine unerschütterte
Gegend, aber wir werden unsere Angaben

machen, Zeitkonten löschen, verbrauchtes
Licht als Rechnung überstellen, pünktlich

werden wir das Gedicht verwerfen und
abreisen auf unbekannten Koffern, vielleicht.


9. Preis

Renate Maria Riehemann

Letzter Waschtag

Dort zwischen Stall und Apfelbaum
sieht sie die Laken wehen,
sieht sie der Mutter weißen Traum
als letzten Gruß vergehen.

Behutsam streicht der leichte Wind
um Mauern und auf Wegen;
im leeren Haus umfängt das Kind,
vergang´nes Tun und Regen.

Denn sie liegt still, sagt keinen Ton,
wird ab und an gewendet.
Ein Monitor piepst pulssynchron,

dann rauscht er nur noch monoton.
Wie schnell ein Leben endet.
Zehn Tage hängt die Wäsche schon.


10. Preis

Ingrid Thiel

In sehr alten Fußspuren
klopfen wir, lechzend nach Trost, das Ufer ab.
Erklären unseren Rücktritt
zwischen den Relikten der Postwachstumsökonomie,
zerfetzte Hamburgertüten, aufgeweichte Zigarettenschachteln
(American spirit) und andere Zeichen der Empfängnisverhütung.
Dazu ein neues Spiel: „Seerosen versenken“ weiß, nachtblühend,
die Kreise zählen. Silberne Ringe verlieren sich
nach Außen, das zarte Schaukeln bleibt gebunden
an den Stein in der Blütenfrucht.
Wir welken in mitten unseres Gemetzels,
wie hier, ein gehaltener Hiatus der Sprachlosigkeit.