Die Gewinnergedichte des Lyrikwettbewerbes
2020
1.Platz
Volker Teodorczyk
Wechselspiel
Wenn sich von fremder Macht bestellt
Umgebungen, vertraute Welt
mit tiefer Dunkelheit verbinden
erobert sich die Fantasie
Vernunft und übernimmt Regie
bis Ängste Adressaten finden
Und wo sonst Licht mit hellem Schein
der Ursprung ist für unser Sein
verbünden sich des Nachts Gedanken
verfinstert und zutiefst morbid
wie es in manchem Traum geschieht
wenn schwarze Schleier dicht umranken
Was macht es aus, was ist der Grund
und wie umschreibt sich der Befund
erklärt der Dunkelheiten Mächte
wie kann es sein, dass Angst regiert
die sich bei Lichteinfall verliert
wie Delinquenten Freiheitsrechte?
Mit seinem ersten Atemstoß
reißt sich der Morgen kraftvoll los
und übergibt das Licht dem Tage
der es verschwenderisch verteilt
bis ihn die Dunkelheit ereilt
So halten sie sich stets die Waage
2.Platz
Heike Streithoff
Inmitten des Ortes
Vögel aus ihren Verstecken zirpen.
Kälte treibt zum Weitergehen an.
Von Fußstapfen zu Fußstapfen rein.
Luft mit Flocken behangen,
Haare wie kristalline Antennen,
steife Hände in den Taschen.
Jackenleuchten auf den Hügeln,
Winterbüsche am Wegesrand,
kreischende Schlitten.
Ein Kitzeln im Gesicht,
blaue Augen schauen mich an,
Behausung Zaubergarn.
Zu Füßen der Abdruck unserer Sohlen.
Je tiefer die Schneedecke,
desto dumpfer das Knirschen.
Das Wetter schlägt um.
3. Preis
Carsten Rathgeber
Novembergebet
Nebliges Morgengrauen
Raureif liegt auf den Äckern
Umhüllt runde Kohlköpfe
Schädel ohne Regungen
Ü
berall tote Spatzen
Hilflos erstarrtes Leben
Eine Sicht zur Ewigkeit
Kalk umweht meine Sätze
Verfugt alle Gedanken
Verschließt die grüne Zunge
Ahnung vom Basalt der Zeit
Von Gräben mit ihrem Leid
Lakonisch verfärbtes Sein
Jeder Schritt öffnet Gänge
Immerzu alte Sätze
Dazu die Spiegelbilder
Bunte Gläser und Splitter
Sichten in fremde Fenster
Verwirrte Verstellungen
Im Grauen schimmern Farben
In den Rändern, in Schatten
Schweigsames Gehen, Beten
Hinter den alten Bildern
Masken und ihre Muster
Der Vielfalt ihrer Qualen
Verbirgt sich das Fatale
Lebt für sich das Basale
4. Preis
Elisabeth Furrer
Anleitung zum Glücklichsein
Lege das schwarze Kleid weg
Und lächle in die Tage
Lebe sie
Mit den scharfen Kanten
Und mit dem kleinen Glück
Sieh dein Spiegelbild an
Noch bist du da
Mit der Falte über der Nase
Mit dem Blick
Zurück in die Jahre
Höre dem Morgenvogel zu
Er singt von Träumen
Von Bäumen die treiben
Von zappelnder Beute
Für den Nachwuchs im Nest
Wenn der Ofen ausgeht
Ist dein Gepäck bereit
Bedanke dich
Und nicke dem Engel zu
Er hilft den Koffer tragen
Sorge dich nicht um die Sorgen
Bring der Nachbarin Tee
Räume dein Zimmer auf
Nimm das Festliche aus dem Schrank
Lächle in die Tage
5. Preis
Magnus Tautz
Parkplatz. Ein Achselzucken
Mutige Eingriffe in das Flüstern aus Regen,
Updates einer geliehenen Kindheit: Siri bemalt
Fingernägel, kostenlos an Autobahnen. Auf
Bildschirmen verfolgst du das Reißen
unserer Karrieren, checkst Verfallsdaten. Wer
hat die Routen neu für uns berechnet? Wir
verbiegen uns weiter zum Beweis, dass wir noch
da sind, in unsere Bilder passen. Am Ende stehen
wir da, die Böden unter uns getauscht, betreten
zögernd das Pflaster, als hätten wir was vergessen.
Den Herd auszumachen?
6. Preis
Peter Frank
Grindelallee, morgens
Vom Fernsehturm fällt,
der Sonne entliehen,
ein rohes Licht.
Auf den Campuswiesen
erwachen Männer.
Auch die Tauben
sind noch da.
Stunde
der Lieferwagen,
der nassen Pflaster.
Schnell
verklingt eine frühe
Schöne.
Vergittert
das alte Programmkino.
Geschlossen
die Buchläden,
die Kneipen,
in denen wir gestern
noch lebten.
7. Preis
Alfred J. Signer
There are moments I remember all my life
Melodien aus dem Holz
alter Stiegen – Schritt um Schritt
Im Verputz die gelbliche Fäulnis
Wände, die sich entblättern.
Orte und ihre Augenblicke
fliessen vorbei, lassen Zeichen
zurück, und du schweigst und
schaust.
Da ist der Raum
Da sind die Haare mit dem erdigen Geruch
im Kerzenschimmer. Du spürst die Wärme
Du schmiegtest dich sanft daran und
du fühltest dich geborgen
in diesem flaumigen Nest.
Fenster aus dem Glas
alter Hände – Griff um Griff
Licht hinter gefrornen Blumen
im späten Dezemberdunst.
Da sind die Stimmen
Wie ein Gebet hörtest du
den Gesang der Heiligen
draussen.
8. Preis
Thomas M. Mayr
wie schnell ist das netz
wie schnell ist das netz
ausgeworfen
sätze wie krabben
bilder wie seesterne
verfangen
in einer masche
selbst schlüpfriges
shitstürme türmen wellen
hass zerfasert in mikrobytes
lagert sich an hirnstränden ab
gemeinsam im netz
zappeln
unsere erinnerungen
an den ozean
das netz zieht sich
zusammen
wären wir doch stark
9. Preis
Hanna Fleiss
Generationen
Beschreiben kannst du
die Sehnsucht nicht nach der Weite,
den endlosen Himmeln nicht, nach dem,
das dich durchs Dasein treibt.
Die Vorväter hängen an den Wänden,
leben in deinen Adern,
zufällig wurdest du in die Welt gesetzt,
du hattest keine Wahl.
Du duckst dich, wo du schreien müsstest,
du schuftest für die,
die dich um dein Leben betrügen,
bist der gelehrige Muschkote.
Wenn sie dich in ihre Kriege schicken,
schießt du auf ihre Feinde,
die nie deine waren, du schießt
und verreckst auf Befehl.
Du, Ebenbild ihrer Ebenbilder,
Spiegel ihrer Verzweiflungen,
vergaßest, wer du sein wolltest.
Wer aber könntest du sein!
10. Preis
Helmut Glatz
Musikalischer Frühling
Ich wiege die Gitarre in der Hand,
und meine ausgestreckten Finger gleiten
wie Vögel über alle Saiten,
als flögen sie in unbekanntes Land.
Lieder flattern himmelwärts wie Lerchen,
vor meinen Blicken wie ein Mosaik
das weite Land. Von ferne her Musik.
Heut ist die Welt ein wunderbares Märchen.
Ich wiege die Gitarre in der Hand,
und singend schwebt der Frühling durch die lichten
grünumrankten Weiden oder Fichten
und schlingt um mich – ja was? – sein blaues
Band.
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