Gewinner des Gedichtwettbewerbes: Mensch-Psyche-Natur (2006)


1. Preis

Hans-Jürgen Gundlach

Zuflucht

Die Felseninsel vor dem Strand
war schwarzer Vögel Heimatland.
Sie hockten dort und reckten sich,
die Flügel breit gestreckt ins Licht.

Der kleine, kahle Inselstaat,
er maß einfünfzig im Quadrat,
war Gästen aus dem hohen Norden
zum Wirtschaftsflucht-Asyl geworden.

Dort in der schwarzen Vogelschar
sah ich ein Möwen-Flügelpaar.
Sie reckte sich und streckte sich
und drehte sich im Sonnenlicht.

Sie war hierher zurückgekehrt.
Das Landen wurd ihr nicht verwehrt.
War einem dieser Vögel klar,
wer hier Asylbewerber war?

*

2. Preis

Wolfgang Wurm

Humus

Unter dem Nebel hält sich
Der Duft von den Feldern
Ö ffnet sich morgens
Fenster um Fenster

Der Rauch nach dem Sommer
Gibt den Hügeln die Asche
Der Lunge die Trauer
Steinige Nahrung der Seele

Tief will ich mich
In den Weinberg graben
Mit den Adern der Reben
Erkalten

Ich will die Wurzeln umarmen
Wenn das Wasser gefriert
Dann flüstere ich der Erde
Vom Ostermontag

*

3. Preis

Christina Feldmeier

Schreibtischgedanken

An MEINEM Schreibtisch
denke ich
an die sich stapelnden Probleme
und die dazugehörigen Lösungen.
Ich lese und lerne.

An DEINEM Schreibtisch
denke ich
an DICH
und wie schön es wäre
AUF Deinem Schreibtisch
gemeinsame Sache zu machen.

*

4. Preis

Norbert Rheindorf

So geil

Unerhofft
ersehnte Arbeit
Kränze und Gestecke
flechten
fünf Euro die Stunde
derer zehn
an sechs Tagen
zwischen zugereisten Kräften
spät abends an der Tankstelle
einen Kranz gekauft
fürs Grab der Träume
fünf Euro
so billig, so geil
so müde

*

5. Preis

Willi Corsten

Hinterm Deich

Diesmal waren‘s ohne Frage,
wunderschöne Urlaubstage,
in Aurich, hinterm Deich,
mitten im Ostfriesenreich.

Ruhe, Frieden, überall,
Erholung pur auf jeden Fall.
Tretboot fahren, Fische fangen,
Herz, was willst du mehr verlangen.

Wasserstraßen, Fahrradwege,
Baum gesäumte schmale Stege.
Kühe, Schafe, grüne Weiden,
Menschen, die die Hektik meiden.

Alte Höfe, lichte Wälder,
dunkle, Torf durchsetzte Felder.
Mühlen stehn am Wegesrand,
einst erbaut von Meisterhand.

Leise Trauer dann beim Gehen,
Versprechen auf ein Wiedersehen,
im nächsten Jahr, dort hinterm Deich,
hoch oben im Ostfriesenreich.

*

6.Preis

Malwine Kala

Krematorium

Wir nannten es Beziehung, gelobten Treue
Auf ewig wollten wir alles teilen.
Entdeckten alltäglich das neu entdeckte Neue
Genossen unsre Worte, unser Schweigen, die langen Weilen..

Kein Weg erschien zu weit.
Kein Bekenntnis stark genug.
In unsrer kleinen Welt bestand kein Leid
Denn Leidenschaft war es
Die uns trug.

Und obwohl all dies schon tausendmal gedacht
Tausendmal gesprochen, erfragt, seziert
Obwohl Nächte mit Analysen zugebracht
Haben wir uns stets in diesem Sog verirrt

Ich dachte es würde nie zu Ende gehen
Absurd zu glauben, uns könnte etwas trennen
Nein! Wir würden jede Prüfung mit Bravour bestehen..
Unsere Liebe jeden Tag beim Namen nennen.

Doch auch uns, den Neo-pubertären
Auch uns geschah das Altbekannte
Ereilt vom Lauf des Ordinären
Als auch das letzte Aschekorn verbrannte

Ein neues Leben zu Grabe getragen.
Unsere Ewigkeit. Begrenzt durch eine Frist.
Geborgenheit verdrängt von Unbehagen
Travel Back: Vom Romantiker zurück zum Nihilist.

Doch Worte scheitern an dem was diesen Schmerz erschafft.
Bald habe ich vergessen wer du bist.
Und mich entsetzt der Abgrund der da klafft
Zwischen der Liebe die in mir war
Und der Gleichgültigkeit die in mir ist.

Wir trafen und in Siam. Hinter einem Zirkuswagen.
Drei Worte um ein Universum zu umschreiben
First Cut is the deepest. Auch unter Narkose nicht zu ertragen.
Nur Fieberträume sind es, die uns bleiben

Requiem.
Für drei tote Worte

*

7. Preis

Karl-Heinz Schreiber

Morbider Vitalismus

was umgeht ist
das kleine sterben
gut verteilt auf
alle unschuldigen
die medien
resignieren methodisch
der zeitgeist kapituliert
mangels profil
die politik
entschließt alibis für
wechselnde mehrheiten
der fatalismus
erweist sich als
günstig für
geschäftliches
elend erzwingt
konsum
ein großes sterben
jedenfalls wäre
unrentabel
und für die
öffentliche moral
abträglich