Die Gewinner des Gedichtwettbewerbes "Zeitzeichen"

 

1.Preis

Norbert Suchanek

Sertao

Bizarre Felsen
Ausgetrocknete Bäche
Verkrustete Spuren von Wasserfällen
Dann wieder Kakteen
Wälder von Stacheln
Und braune, gebrannte Menschen
Barfüßig in weißen Lumpen
Vor weiß gekalkten Dorfkirchen
Die Gesichter
Im Schatten von ausgefransten Strohhüten
Dösend und wartend
Auf die Kühle
Die nicht kommt

Hinter dem Dorf ist der Sertao
Das Land der Dornen und der Pflanzen
Wie Knochen
Mit staubigen Wasserlöchern
Und Rindern aus Leder und Knochen
Trocken wie das Gehölz
Und immer wieder Kakteen
Und armselige Hütten
Mit armseligen Gärtchen
Sonnenverbrannten Maisfeldern
Von denen, die Glück hatten
Die noch nicht vertrieben wurden
Von Stauseen und Aluminiumhütten
Von Siemens und Mannesmann
Von Eukalyptus und Aracruz


Ein Jahr in Brasilien

Ein Jahr in Brasilien.
Was ist das schon?

Ein Jahr Brasilien
Drei Mordrohungen
Das Spüren eines Revolvers auf meiner Brust
Die Abdrücke des Laufs
Eingebrannt auf der Haut
Wie von einem Brenneisen

Ein Jahr Brasilien
Grau gekleidete Militärpolizisten
Fünf an der Zahl
Die nachts mitten in Sao Paulo
Einen Dunkelhäutigen erschlugen.
Er steckte in Lumpen
Geschwärzt von Auspuffgasen und Straßenschmutz
Er kam aus dem Nordosten
Sie schlugen mit Brettern auf ihn ein
Rostige Nägel bohrten sich in sein Fleisch
Zerfetzten es wie Lumpen

Ich sah es und tat nichts
Ließ es geschehen
Machte mich nur schweigend davon
Verkroch mich im nächtlichen Straßenstaub
Hatte Angst
Hoffte unsichtbar zu sein
Wie ein Niemand im Schatten

Ein Jahr in Brasilien.
Was ist das schon?

Zwei Straßendiebe am Bürgersteig
Es war spät
Zu spät
Ich sah sie warten
Warten auf mich
Angst hatte ich nicht
Ich ging auf sie zu
Sie zückten ihre Messer
Fragten nach Geld
Ich gab, was ich hatte
Es war nicht viel
Sie entschuldigten sich
Es täte ihnen leid
Sagten sie
Es sei der Hunger

Ein Jahr in Brasilien.
Was ist das schon?


2. Preis

Udo Osieka

Fallmanager

Früher (gerade) noch Mensch,
heute schon ein FALL.
Ja, damit sind SIE gemeint.
Da hört man ja schöne Sachen über Fälle wie Sie.
Hoffnungsloser Fall.
Totalausfall. Praktisch im Freien Fall.
Ja, schauen Sie nicht so blöd –
machen Sie mal ruhig ihren Kniefall!
Meinen Sie, ich habe Gefallen daran,
Ausfälle wie Sie VERWALTEN zu müssen?
Entwenden Sie mir doch nicht
meine ohnehin zu knapp bemessene Fallzeit;
nein, ich WEIß nicht, was vorgefallen ist,
lassen Sie mich damit in Ruhe,
es wird mir sowieso gleich entfallen.
Wenn Sie so weiterreden, öffne ich die Falltür,
der FALLENSTELLER bin nämlich immer noch ich!
Also leisten Sie sich keinen Rückfall,
Sie sitzen eh schon in der Falle.
Auch noch mit einem Verfallsdatum versehen.
Schön, daß Sie sich das jetzt gefallen lassen.
Vielleicht finden Sie ja
einen überfälligen Posten im Abfallsektor.

3. Preis

Rotraud Sarker

Erinnerung an Licht

Wo man das licht gefangen hielt,
war wüste, war
turm der schwebte, lebte, sich
immerzu hoch in den lüften drehte

Ich grub die zehen in den schwarzen sand,
bewegte mich voran Die luft
war voll geräusch, ich
warf mich nieder, legte

die ohren an Waren es
hufe, trommeln, das schunkeln
ferner karawanen?
Ich weiss es nicht, ich

musste immer weiter gehen
Der wind verwischte meine spur
und nur erinnerung an licht
blieb noch als offene frage stehen


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