Die Gewinner des Gedichtwettbewerbes "Zeitzeichen"

 

4.Preis

Hermann Wischnat

Der neue Fleiß

Mein neuer Chef ist - ja, das weiß ich -
von früh bis spät unendlich fleißig,
so daß man mich, weil er so zieht,
nun selber an der Arbeit sieht.

Ich war nie faul, doch stets gewohnt,
daß man sich halt im Zweifel schont.
Dagegen jetzt! Im Sturmesschritt
mach‘ ich für zwei die Arbeit mit.

Ob im Büro, ob im Versand:
ein Feierabend unbekannt.
Selbst mittags reicht ein Suppenteller.
So spart man Zeit, wird rationeller.

Und unser Rieseneifer zeigt:
tatsächlich, ja, der Umsatz steigt.
Wir konnten gar trotz Umsatzmassen
als Zusatz Personal entlassen.

Mit solcher Arbeitsvehemenz
enteilen wir der Konkurrenz
und finden unser Zukunftsheil
in einem hohen Marktanteil.

Nur die Familie sagt betreffs
des neuen arbeitsamen Chefs:
wenn dieser doch so ungefähr
nur halb so superfleißig wär!

Jedoch bin ich - mit Überblick -
stets pünktlich im Büro zurück.
Sonst werde ich - nicht erst zuletzt -
im Handumdrehen freigesetzt.

 

5.Preis

Verena Raupach

Friedenstauben

Mein Garten ist ein Treibhaus der Geschichte
voller Friedenssymbole
voller Tauben

Sie blühen dort in verfetteter Symbiose
mit Elstern und Krähen
denn Singvögel gibt es nicht mehr

Blinkäugig und blödsinnig
hocken sie auf dem Rasen
und flattern nur widerwillig auf
wenn man ihnen zu nahe tritt
und das tue ich öfters

Aus gelichteten Tannen
rieselt lautlos die Hoffnung
Bäume verlieren Blätter en gros
den Tauben ist das egal

Sie nähren sich vom Unrat der Straße
und Georg Kreisler würde sie vergiften im Park
die einstige Friedenstaube Picassos
ist zum Problem geworden

Sie bescheißt antike Fassaden
und die Köpfe von Friedensaktivisten
sie scheißt darauf
sie hat sich aufgegeben

Wie wir
die wir in Aktionismus verfallen und glauben
in Lichterketten unseren Beitrag zur Welt zu leisten
Friedensbäume pflanzen und Demos organisieren
und weiterhin Krieg führen gegen die Natur

Bald werden wir allein sein
mit Krähen und Elstern
und vergifteten Tauben

Mein Garten ist ein Treibhaus der Geschichte
über dem ein zubetonierter Himmel
weder Sonne, Mond noch Sterne durchläßt

 

6. Preis

Rebecca Schuster

Belanglos

Ein Wort, tausend Buchstaben,
Millionen Bedeutungen.
Schneefall im Sommer, am Meer.
Ein Tag und doch so
belanglos.
Sand zwischen den Zehen und Salz im
Mund.
Dein Finger in meinem Bauchnabel und
dein Wort in meinen Augen.
Blau.
Allgemeine Vorlage
für graue Gehirnwindungen die
sich blau färben.
Rosen, Reinheit, Rilke
oder doch besser
Laken, Liebe, Lüsternheit?

 

7. Platz

Nicolas Nowack

wie erreichte man die menschen früher?

morgens
in der regel morgens
da waren die menschen
planmäßig
in der regel planmäßig
morgens waren die menschen da
sicher
morgens
da waren die menschen noch
in der regel
da
waren die menschen
morgens da sicher
zu erreichen da
war man sich noch sicher
planmäßige in der regel morgens sicher
planmäßige
verhaftungen in der regel
morgens weil man sich da
noch sicher war
die menschen
zu erreichen

(montiertes Zitat - aus einem Interview
mit einem ehemaligen leitenden Mitarbeiter
des Ministeriums für Staatssicherheit)

 

8. Platz

Markus Nowak

Der wahre Grund
(für den deutschen Bevölkerungsschwund)

Die Kinder bringt der Klapperstorch
Die holt er aus dem Süden
Das macht er schon seit eh und je
Wahrscheinlich aus humanitären Gründen

So sorgt er für unseren Nachwuchs
Aus aller Herren Länder
Doch wurde er jetzt festgenommen
Wegen Einfuhr illegaler Fremder

Und eingesperrt bei wenig Licht
Gefesselt und geknebelt
Dem Klapperstorch bekam das nicht
Es hat sich ausgevögelt