Die
Gewinnertexte des Literaturwettbewerbes "Momentaufnahmen" (Preis
1 - 4 in der Reihenfolge)
Daniel Rosner
Der Feuerland-Maler
Auf der Magellanstrasse. Weit hinten auf dem patagonischen
Festland liegt Punta Arenas. Voraus überschneiden
die Ladeklappen der Fähre den Horizont Feuerlands.
Rechts und links schwimmt Gastfreundschaft. Ein Dutzend
großer Tümmler. Tauchend, springend, gleitend.
Der Hafentrichter von Porvenir ist übersäht mit
Farbflecken. Grüne, gelbe und blaue Fischerboote.
Der Wind reißt an der Jacken der Menschen und richtet
den Hunden das Fell. Oder zersaust es.
Landeinwärts hinter Porvenir beginnen die Weideflächen
Feuerlands. Durch Zäune in Besitztümer getrennt.
Von Haciendas verwaltet, von Schafen bevölkert. Die
Zaunpfosten sind mit Moos und Flechten bewachsen. Der Regen
hat das Holz aufgeweicht, daß es sich mit dem Fingernagel
abkratzen lässt.
Am Morgen legt sich Reif über das Land. Auf die Maschen
der Stacheldrähte, auf die Halme der Gräser und
auf die Eisflächen der Regenpfützen. Alles ist
in Aquarellfarben gemalt und weichgezeichnet. An diesem
Morgen aufgenommene Fotos erweisen sich nach dem Entwicklen
als Schwarz-Weiß-Bilder. Das Land ist farbarm und lichtreich.
Abends erreichen die Schatten ein Vielfaches der Körpergrösse.
Außer dem Himmel beim Sonnenuntergang brennt auf Feuerland
nichts. Feuer würde verhungern.
Für den Wanderer taucht hinter jedem Hügel ein
Hügel auf. Ein unbefriedigendes Vorwärtskommen.
Die Weite rückt immer näher. Reiter am Horizont
entpuppen sich als zahnlose Gauchos, auf Fellsätteln
mit Sombrero und Zigarette. Sie treiben Schafe zusammen,
bessern die Zäune aus und winken den Autofahrern auf
den Schlaglochpisten. Einer erzählt, daß sich
das Land heute lächelnd zeigt. Es kann auch anders.
Vier Jahreszeiten an einem Tag zu erleben, Schneefall, Sturm,
Sonne, und Regen sind keine Seltenheit.
Einer anderer Gaucho ist mehrere Kilometer gelaufen um ein
Gatter zu schließen und läuft nun wieder zurück
zu seiner Hacienda von der man nur den Rauch des Kamins sieht.
Die Schafe glotzen und rennen bei jeder Annäherung schreckhaft
davon. In einer Schutzhütte steht ein Gitterbett, ein
Ofen und ein Tisch. Wandkritzeleien von Neuseeländern
die von Alaska nach Kap Horn reisten.
Gegen Nachmittag verwandelt die Sonne den Reif in Tautropfen.
Jeder Wanderschritt zerstört Reiflandschaft auf dem
Frostboden. Jeder Wanderschritt formt neue Schuhabdrucklandschaften.
Die Stille dauert den Tag. Und die Nacht. Nur ein Reisebus
täglich mit Eisengitter vor der Windschutzscheibe gegen
Steinschlag und ein paar Schaftransporter durchbrechen die
Stille.
Die Minensperrgebiete an der Strasse nach San Sebastion stammen
aus Zeiten der Grenzstreitigkeiten zwischen Chile und Argentinien.
San Sebastian besteht aus einer Polizeistation und einem
Hotel, mit vielen Einzelhäusern. Alle werden von einer Überflutungsfläche
zusammen gehalten. Am morgen zu einer Eislandschaft verzaubert.
Am Abend wieder ein Wasserproblem. Noch ein Stück ins
Grenzland vordringen und der Wanderer spürt den Salzgeruch
des Atlantiks.
Christel Tarras
Umbrien
UMBRIEN - es ist gar nicht so leicht, sich diesem Wort zu
nähern. Ich versuche es vom Begriff Umbra aus. In
der Farbenlehre steht er für ein dunkles Braun, eine
braune Erdfarbe. Umbra ist aber auch der dunkle Kern eines
Sonnenflecks. Versteckt im Wort Umbrien scheint mir aber
auch das deutsche Wort umbrechen. Und zieht sich nicht
der Appenini durch Umbrien, diese umgebrochene, aufgefältete
Fortsetzung der Alpen? Schon derName lässt einen stolpern,
tut es das Land auch?
An Umbrien beißt man sich die Zähne aus, schlägt
sich den Schädel ein. Das mussten schon die Römer
erfahren, die am Trasimenischen See 217 v. Chr. von Hannibal
vernichtend geschlagen wurden. Warum, sie unterschätzten
die Umgebung und wurden zum Opfer. Noch heute kann man es
gut nachvollziehen, wenn man diesen großen, ruhigen
und dabei doch sehr flachen See betrachtet. Die Sonnenblumen
scheinen dort ins Wasser zu fallen. Ganz sanft steigen die
Hügel an und türmen sich langsam bis zur Höhe
des Appenin. Der Übergang von der Toskana zu Umbrien
geschieht fast unmerklich. Und doch ist plötzlich alles
anders.
Umbrien - das ist uraltes, wildes, ungebändigtes Land.
Ein Land, das sich nicht formen lässt. Ein Land, das
niemandem schmeichelt sondern widerspenstig an seiner Einmaligkeit
festhält. Wenn du allein sein willst, so gehe nach Umbrien.
Gehe mitten hinein, quäle dich die Berge hinauf und
blicke ehrfurchtsvoll in die unendliche Einsamkeit. Weit
und breit unberührte Natur, nur selten unterbrochen
von einigen wenigen kargen Feldern, überwölbt von
einem Himmel, der innerhalb von Sekunden sich zusammenzieht
und seine Sturzfluten über das Land ergießt, um
gleich darauf die Strahlen der Sonne gebündelt nur auf
einen Punkt zu werfen.
Umbrien - das ist das Land des Franz von Assisi. In dieser
Einsamkeit hat er den Vögeln gepredigt, und wenn man
dort ist, so glaubt man es sofort. Wer ist denn sonst da?
Niemand. Dort bist du auf dich allein gestellt, lernst deine
Grenzen kennen und dich selbst. Dort brauchst du einen Gott,
denn sonst beschützt dich niemand. Weit in der Einsamkeit
verstreut liegen die Klöster, die dort gebaut wurden,
wo er gelebt hat. Den Weg dorthin zu finden, ist schon ein
Abenteuer. Z. B. nach S. Maria in Belverde. Vorbei an Felsen,
in denen die Höhlen der Wegelagerer der Vergangenheit
deine Begleitung sind. In dem Kloster finden Heroinsüchtige
Aufnahme, die von dem Stoff loskommen wollen. In der Regel
bleiben sie 5 Jahre dort ohne ärztliche oder psychologische
Hilfe. Die Therapie heißt Einsamkeit und harte Arbeit.
Nach den Jahren sind sie zu Asketen geworden.
Ein anderes Kloster des Hl. Franz ist La Scarzuola, hinter
dessen Mauern sich heute der wohl seltsamste Garten Umbriens
befindet. Die „Stadt“ des Architekten Buzzi,
eine Mischung aus sieben Theatern, gekrönt von der Akropolis,
eine esoterische Nachbarschaft zur „Heiligen Stadt“ des
früheren Konvents. In Umbrien verträgt sich diese
unmittelbare Fremdheit, vielleicht, weil sie wissen, dass
die alte Erde sie eint.
Umbriens Menschen sind leise, und ihre wenigen Städte
und Dörfer sind so alt wie das Land. Ruhig und eindrucksvoll
sind die Orte, die wie die Landschaft bis heute ihr eigenes
Gesicht bewahrt haben. Umbrien hat seine eigene Zeitrechnung.
Die Uhren laufen hier anders.
Wenn du zurück kommst aus Umbrien, bist du nicht mehr
dieselbe, die du vorher warst. Umbrien läßt sich
nicht formen, Umbrien formt.
Ines Heckmann
Torre de es Pi de Català
Zarte Duftschleier des wilden Thymians steigen empor, vermischt
mit dem Salz der Meeresluft. Zwischen lilablühenden
Büschen bilden von Wind und Wetter rundgeschliffene
Steine einen natürlichen Weg. Der Anstieg ist nicht
weit, doch durch die heiße Sonne beschwerlich. Hin
und wieder schnappen Dornenbüsche nach der Kleidung,
zerkratzen nackte Haut. Großzügig haben Spinnen
filigrane Netze dazwischen gespannt. Sie tragen weiße
Kreuze auf ihrem schwarzen Rücken und schaukeln geduldig
in der sanften Brise.
Oben am Plateau sind die Steine nicht mehr glatt. Unzählige
Menschenfüße konnten die nadelförmigen Auswüchse
der Jahrhunderte alten Lava nicht gänzlich abtragen.
Türkisfarbene Eidechsen, Drachen in Miniatur, huschen
geräuschlos davon.
Möwen schreien. Es klingt, als würden sie lachen,
sich lautstark des Lebens freuen. Eine Möwe landet auf
dem zerbröselnden Dach des Wehrturms, eine zweite folgt.
Die gelben Augen taxieren die Umgebung, ehe sich die Vögel
wieder in die Lüfte schwingen.
Am Ende des Plateaus thront der Turm. Mehr breit als hoch
trotzt er feindlichen Angriffen. Seine Mauern sind über
einen Meter dick, uneinnehmbar und vermitteln das Gefühl
von Sicherheit. Steine sind herausgebrochen, doch dahinter
liegen die nächsten.
Torre de es Pi de Català - ein Name, den auch ein
stolzes Herrschergeschlecht tragen könnte. Ein Name,
der Würde ausdrückt.
Heute eine Zuflucht für Eidechsen, diente der Turm einst,
die Insel vor Feinden zu schützen. Ein schmaler Schlitz
genügt, um hinauszusehen. Wohlwissend, der Feind vermag
nicht ins Innere des Turmes zu blicken, ist der Schlitz keine
Schwachstelle sondern gut getarnte Verteidigung.
Längst verrottet ist die hölzerne Decke. Nur mit
Mühe und einer Behelfsleiter gelingt es, das Dach des
Turmes zu erklimmen.
Welch Anblick! Bis zum Horizont dunkelblaues Meer, in Küstennähe
durch karibikgrüne Streifen unterbrochen. Davor ein
dichter Pinienhain, mit Wurzeln, die sich wie athritische
Finger ausbreiten. Vom steten Wind in Schieflage gedrückt,
wirken einige Bäume wie Büsche. Doch nur die Krone
ruht auf der steinigen Erde, die Wurzeln finden zwischen
den Felsen noch Platz, um das bisschen Nahrung herauszuziehen,
das sie benötigen. Schließlich fast weiße,
buckelige Felsbrocken bis zum Fuß des Turmes.
Harzig riechen die Pinien, ein Hauch von Thymian schwebt
noch immer in der Luft. Zwanghaft den Atem einsaugend, füllt
sich die Lunge mit salzigwürzigem Sauerstoff. Das Gefühl,
endlich angekommen zu sein, wird übermächtig.
Der Wind bläst heftig hier oben. Touristen und Tauben
haben ihre Spuren hinterlassen. Dennoch, fast sieht man
sie vor sich: die aufmerksamen Inselbewohner, die Tag und
Nacht den Turm besetzen und nach feindlichen Schiffen Ausschau
halten. Die Augen mit einer Hand gegen die Sonne abgeschirmt,
erkunden sie sorgfältig jede Welle, jede Bucht. Die
schwarze Kleidung flattert im Wind, die Gesichter sind wettergegerbt.
Konzentriert tasten ihre dunklen Augen Land und Meer vor
ihnen ab, ehe sie schließlich abgelöst werden.
Nur langsam verblasst das Bild. Geblieben ist der allen
Angriffen trotzende Verteidigungsturm.
Der Abstieg über die Behelfsleiter ist schwieriger als
der Aufstieg. Ein letzter Blick nach oben, an den wuchtigen
Rundungen entlang. Überall bieten kleine Nischen im
Mauerwerk den grünen Drachen Schutz. Augen schließen,
Sonne spüren, die gewaltige, aufgeheizte Mauer des
Turmes im Rücken spüren, die Insel mit allen Sinnen
in sich aufsaugen und genießen.
Sich vom Turm entfernend, zwingt irgendwas den Blick zurück.
Der Turm scheint kleiner, doch nicht weniger beeindruckend.
Mit jedem Schritt weiter, versinkt der Turm ein Stückchen
mehr in den Pinien. Doch er ist da. Kraftvoll und stolz,
wie das Volk, das ihn erbaute.
(Formentera)
Sibyl Quinke
Amman - Al Himmeh
Gebleichter Fels - spröde
Hitze spaltet
trockene Sträucher
der Ziegen Nahrung.
Lange Ketten von
Feigen, Gewürze zwischen
zerfledderter Rinde von
Eukalyptus.
Der Yarmuk, gesäumt vom
leuchtenden Gelb der
Mimosen trägt
in sich Schaum.
Geduckt am Hang
im staubigen Grau
Häuser dicht
an dicht - ohne Grün.
Frauen, gebückt zwischen
braunen Erdschollen.
Die Autobahn umfährt
der Palästinenser Stadt.
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