Die Gewinnertexte des Literaturwettbewerbes "Momentaufnahmen" (zusätzliche Preise)


André Steinbach

Eilat

Im Zwielicht,
Eilat, verlassen, wüstenhaft, etwas Antofagasta,
Chiles Norden vor Augen.
Dort, nicht weit, die Grenze Jordaniens,
die Berge eingefärbt in blauem Grau
am Horizont.

Ein einsamer Schatten, grau,
der Hafen von Aqaba.
Kleine, entfernte Häuser,
zaghaft beleuchtet von
einer schwindenden Sonne.
Einige Schiffe im Hafen,
wie Spielzeug, Seite an Seite
verankert.

Ich durchschreite die Ebene,
etwas Macchie, einige trockene Dornen,
und ein fester Sand,
der meinen Fußspuren weicht.
Die Grenze: Stacheldraht,
sandige Hügel, ein Wassergraben,
mit Schilf,
das im moltrigen Wasser wächst.

Hier eine Schlange, dort ein Wasserhuhn,
einige Bachstelzen - und ich,
die einzigen stillen Geschöpfe.
Ich hinterlasse kaum Spuren im Sand.
Glitzernd, Salzkristalle in den Furchen,
darunter, schlüpfrig, etwas Erde.
Ich gehe über zerbrochenen Lehm,
aufgewölbt an den Rändern,
der zerstäubt.
Es knirscht, wenn ich darüber gehe.

Hoch oben drei Flugzeuge,
die wie riesige Kraniche in der Abendsonne kreisen,
nahe der Grenze.
Wind streicht durch das Schilf,
das sich ehrfürchtig beugt.

Dort, zur Linken, ein künstlicher Hügel,
eine Ebene, Felsbrocken, grau,
zu einem Dreieck aufgetürmt
und darüber die Fahne Israels,
blau-weiß, der Davidsstern
veblassende Farben und -
etwas Stacheldraht,
der sich unbekümmert
im Wind bewegt.

Vor mir zieht eine Schlange davon.
Eine Bachstelze, die nicht mehr fliegen kann,
erholt sich in meiner Hand.
Es tut gut, die Natur zu fühlen,
die Stille zu atmen, unwirklich zu sein,
langsam in der Dämmerung zu verschwinden,
wie die umgebende Natur.
Die Nacht fällt langsam jetzt,
mit kühlem Wind aus dem Norden.
Sterne, wie leuchtende Nadeln in der Dunkelheit
durchlöchern den Himmel, hüllen mich ein in Schweigen.
Meine Träume verschwimmen,
noch gefangen in der Vergangenheit.

.

Thomas Steiner

Als ob ich ein Ziel hätte

Mein Weg führt auf die Häuser zu,
ein Hof aus drei Gebäuden,
alt und schäbig, Hütten,
keine Menschen sind zu sehn,
nur Schuppen, Hühner, Holz -

die Angst, der Hofhund könnte kommen,
das schwarze Vieh, schnell und tückisch, böse,
voller Hass;
er kommt nicht, niemand kommt.

Danach ein Hang mit steilen Stiegen,
sie winden sich, dass Steine rollen, oben
wieder Hütten, Häuser im Zerfall
mit alten Leuten, aufgegeben
die Siedlung, die Strasse,
als ob ich ein Ziel hätte,
zur Stadt.

 

 


Wolfgang Wurm

Der Hochwald

Hier war
Nicht einmal
Verwesung

Ein Sommer
Brachte
Den Tod

Keine Zeit
Zu begleiten
Bis nichts mehr ist
Zu trauern
Zu protestieren

Farne verschlingen
Die leblosen Rinden
Vereinzelt dörren
Noch Beeren

Ein Grabmal
Erscheinen
Die Steine jetzt
Kein Wind singt mehr
Wilde Legenden

Hier ging ich
Vor Jahren
Durch endloses Grün
Zuletzt erst
Schien durch die Stämme
Der Gipfel

Nur noch Inseln nun
Die Kiefern
Von oben geortet

 


Michael Bolz

Flohmarkt


Samstagmorgen. Und was für ein Samstag! Eigentlich sollte der Samstag heut Sonntag heißen, die Sonne strahlt und heizt nämlich seit morgens schon unentwegt. Ich verbringe heute einen Tag auf dem Flohmarkt, auf dem Marheinekeplatz in Kreuzberg.
Rund um den Platz findet im Sommer und immer regelmäßig samstags ein Flohmarkt statt, auf dem ich heute versuchen will, selbstgeschraubte Fahrräder zu verkaufen. Ich habe die Fahrräder gut sichtbar für Jedermann und -frau an der Umzäunung des Kinderspielplatzes, und mit einem Verkaufsschild versehen, angeschlossen.
Auf dem Schild steht zu lesen: „Herrenrad soundso für 60 , ein Mountainbike soundso für 35 “. Dazu meine Mobilfunktelefonnummer. Damit und mit etwas Glück denke ich, werde ich ein Rad, vielleicht sogar beide verkaufen - das Geld ist knapp.
Ich setze mich auf eine Steinbank, auf einem freien Stück des Platzes, direkt vor dem Gasthaus „Herz“. Auf diesem Platz stehen fünf, aus Bronze gegossene Riesenwassereimer verteilt. Vier davon stehen sich jeweils paarweise gegenüber, der letzte bildet, auf der dem Gasthaus abgewandten Seite des Platzes, die Spitze.
Drei davon sind um diese Uhrzeit, es ist acht, in Betrieb, was nichts anderes heißt, als das sie Wasser sprudeln. Das Wasser läuft oben aus den Eimern, über deren Rand und am Boden wird es in schmalen Wasserrillen, die in den gepflasterten Boden eingelassen sind, zu einem Sammelbecken geführt. Den Kindern macht es einen Heidenspaß, durch das dünne Rinnsal zu toben, und mit dem Wasser, das von oben herabfließt, zu spielen.
Ein kleiner Junge von ungefähr 6 Jahren, tappt fröhlich lachend in einem winzigen Wasserpfützschen. Die Mutter, gleich auf den Plan gerufen, stößt laufend akustische Ratschläge aus, um Ihren Jungen vor der gefährlichen Flüssigkeit zu schützen - und das bei gut zwanzig Grad Umgebungstemperatur bereits um acht Uhr.
Gut aufgelegt sitzen rechts auf den Bierbänken ein paar Familien und Pärchen beim Frühstück. Die Obdachlosen und Alkoholiker mit Ihrem „Flaschenfrühstück“ sitzen vorn beim Haupteingang der Markthalle, im noch kühlen Schatten.
Ich denke über meine Situation nach, denn es ist viel passiert seit ich hier in Berlin gelandet bin. Das viele Durcheinander, das ich seit meinem Umzug aus Bayern und meiner zerbrochenen Ehe hierher mitgebracht habe, setzt sich, und wird differenzierbar. Jetzt endlich nach drei Jahren, die ich hier in Berlin lebe. Und Leben will ich das endlich auch nennen!
Wohlwollend ist mir diese Stadt. Gut gesinnt, herausfordernd, lebhaft und unergründlich, wie nichts anderes, das ich bisher kennengelernt habe, was mir ans Herz gewachsen ist.
So wie dieser sonnige, warme Morgen hier. Nur möchte ich ergänzen, dass Berlin auch an Regentagen, oder im Winter schön ist. Naja, und dreckig. Und stinken tut sie manchmal auch, die Stadt, dann aber sehr. Ein Hauch Melancholie und Sehnsucht mischen sich mit in die Farben der Stadt - im Winter und an Regentagen - zum Dreck und zum Duft. Das kann wehtun, aber genau hingesehen, wenn wir ehrlich sind, schmerzt ständig auch die größte Freude, die Liebe, das Leben selbst.
Nach zehn kommt langsam Bewegung auf den Platz, in den Flohmarkt. Am Wochenende läßt sich die Stadt Zeit. Ich drehe mir eine Zigarette und gleich kommen Spatzen zum Schnorren angeflogen. Nee, denk ich, das schmeckt euch sicher nicht, obwohl, zünde mir dann aber die Zigarette an, ohne zu teilen.
Eine offensichtlich angetrunkene Frau wagt und wankt sich zu nah an den Gastronomiebetrieb und verschafft sich Platz am Wassersammelbecken der Brunnenanlage. Kurz darauf eilt die Geschäftsführerin herbei und führt die Frau, nach kurzer, oberflächlich betrachtet verständnisvoller Diskussion zu einer, ungefähr 3000 meter entfernt stehenden Parkbank. Merkwürdig war zuerst, dass sich die Geschäftsführerin noch zu der Frau setzte und zu plaudern begann. Es war aber, genauso wie Ihre andauernd hektischen Blicke nach dem Gasthaus, ein zu kurzes Gespräch, um ernst gemeint gewesen zu sein. Ich dachte, das nennt man wohl eine „höfliche Abfuhr“.
Der Flohmarkt hier bietet für Kenner viele Schätze. Letztens hatte ich mir einen wunderbaren Bildband von Potsdam gekauft, darin fand ich unzählig viele, wunderbare Abzüge verschiedener Ölgemälde, die die Entstehung und den Ausbau der Stadt ganz köstlich darstellen. Ausserdem ein Buch von Henry Miller, das Lächeln am Fuße der Leiter, und eine CD von Herbert Grönemeier, Bochum, für 1 .
Andere Dinge, die mir ebenfalls gefallen würden, gibt es hier auch und in rauhen Mengen, aber sie sind auch teurer und dafür fehlt mir grad das nötige Kleingeld. Ich denke an die Fahrräder.
Die betrunkene Frau wackelt wieder über den Platz und übt lautstark Protest, Ihrer Vertreibung wegen. Dabei fragt Sie mich zweimal, ob da ein Platz auf der Steinbank noch frei wäre, neben mir, sie setzt sich aber nicht. Dasselbe fragt mich dann auch ein junger Mann, der sich zwischenzeitlich mit zwei Kindern neben mir plaziert hat. Aber erst nachdem. Also nach der Frau, und nachdem er sich gesetzt hat. Meine Antwort war in beiden Fällen dieselbe gewesen „Natürlich nicht!“ Der Mann studierte daraufhin verstört die „Le Monde“, die Kinder gingen zum Brunnen, planschen.
Die Betrunkene kam unterdessen nochmals vorbei und fragte, ob ich nicht ein Bild von Ihr kaufen wolle. Sie erzählte, während sie umständlich ein großes, knittriges Pappstück ausrollte, dass dieses Bild von Ihrem Ex-Freund ein Jahr zuvor auf einem DIN A2 großen, schwarzen Pappestück gezeichnet worden sei. Grau und Lila waren die herrschenden Farbtöne, und ich meine, die Frau gar nicht mal so schlecht getroffen zu sehen. Ich fragte, warum Sie das Bild denn verkaufen wolle, grummelte von Erinnerungen und Ähnlichem, woraufhin Sie meinte, dass Sie das Geld für Alkohol brauche, wörtlich: „Ich bin aber nicht abhängig!“ So sieht sie auch aus, denke ich mir. Ich riet Ihr noch, das Bild zu behalten und sagte, „Geld hab ich sowieso selbst grad keins“. Sie ging wortlos und beleidigt.
Vom Flohmarkt her klingt Musik. Eine Frau singt traurig und mit kräftigem Bass in der Stimme von Liebe und Sehnsucht. Zeit für eine Zigarette oder drei... Freddy Quinn setzt darauf an und weint „...doch es blieben Ihm zwei Freunde, die Gitarre und das Meer“.... oder vier oder fünf.
Der Mann mit den Kindern geht, dafür nimmt eine Familie auf der Bank Platz, neben mir und gänzlich, ohne vorher nach meiner Erlaubnis zu fragen. Ich fühle mich übergangen.
Diese Mutter rät Ihrem Kind, gut auf die eigenen Sachen aufzupassen, faselt irgendwas von Dieben und sieht mich an dabei. Sie hustet und schnieft laut und sieht überhaupt nicht sehr gesund aus. Ich erhebe mich nach ihrer Anmerkung und entferne mich mehrmals und gewagt in verschiedene Richtungen bis zu 50 meter von meinen Wertsachen weg, die ich natürlich ungeachtet liegen lasse - und natürlich freue ich mich jedesmal kindisch, wenn ich zurückkomme und noch alles da ist.
Immer mehr gleicht der Platz einem belebten Ameisenhaufen, nur scheinen mir Ameisen ungleich toleranter gegenüber ihresgleichen. Wann hört man sich Ameisen einander, bezüglich mangelnder Rücksicht und/oder fehlender Platzverhältnisse wegen anschnauzen? Mein Tabak und mein Schreibstift geben beide nichts mehr her, und wenigstens ein Rad hab ich in den nun schon 5 Stunden auch noch nicht verkauft.
Am Wassersammelbecken sitzt eine dunkelhäutige, südamerikanische Schönheit. Ich lasse meinem Blick freien Lauf. Wir treffen uns dabei kurz und lächeln uns zu. Ich denke: „Was für ein schöner Tag!“ Sie nickt lächelnd, steht nach einiger Zeit auf, geht weiter. Ich hätte mittlerweile gute Lust auf ein Glas Wasser im „Herz“, traue mich dann aber nicht hineinzugehen.
„ Was ist los?“ und „Ich hab einen Knall gehört!“ höre ich sorgenvoll einen Vater ein Stück weiter seinen weinenden Sohn fragen. Der heult Rotz und Wasser, weil sein Luftballon die Form plötzlich radikal verändert hat und nun in Fetzen herumliegt. Kurz darauf knallt es nochmals laut, metallisch, und das Rad des Vaters liegt; gebrochen ist der Kindersitz und er, den Schaden betrachtend und den Tränen nah, sieht aus wie sein Sohn.
An einem Tisch rechts vor dem Gasthaus flirtet ein junges Ding derart mit Ihrem Freund, dass Sie Ihren Rock immer weiter nach oben zieht, bis ihre Unterwäsche deutlich zu sehen ist - nicht, dass ich etwas davon mitbekommen hätte.
Hunde kläffen, ein Hubschrauber fliegt über den Platz. Die tanzenden Schatten auf meinem Papier, sind vom leichten Wind im Baum bewegte Äste und Blätter. Die angetrunkene Frau ist lang verschwunden und die Geschäftsführerin lacht, ihre Tische sind alle occupiert. Mittlerweile sprudelt das Wasser auch aus allen 5 Bronzeeimern. Eine Frau auf der Bank neben mir spricht scheinbar mit sich selbst, bis ich bemerke, dass sie in eine Freisprechanlage plappert. Das klappt aber nicht so ganz und das Gespräch endet mit „Scheiße!“ Es ist Mittag.
Ich schnorre mir eine Zigarette von einem Musiker - so behauptet er wenigstens - einem HipHop Sänger. Ich interessierte mich gleich für seine Texte, aber die wären, laut eigener, schüchterner Aussage, noch nicht fertig verfasst. Dafür bekomme ich eine Einladung für ein Konzert am 14.06 ins Glashaus. Da spielen Sie dann. Takt und Ton. Der Name gefällt mir. Hunger meldet sich, laut und deutlich, fast rüpelhaft. Zuhause gibt‘s noch, ich erinnere mich, um ihn zu beruhigen, Nudeln mit Käse überbacken und Zwiebeln - ein wenig will ich trotzdem noch hier weilen.
Ein lesbisches Pärchen wandert relativ selbstbewußt über den Platz und sucht Blicke; der Platz selbst ist mittlerweile gefüllt mit Familien, Flohmarktbesuchern und Hunden, wobei sich letztere spielend am Brunnen eine kühle Dusche gönnen. Links von mir sitzt ein Afrikaner am äußersten linken Ende einer weiteren Steinbank; am äußersten rechten Ende derselben Bank eine mißmutig dreinblickende, ältere Dame. Ein Baum, der hinter der Bank wächst, wächst aus meiner Sicht heraus genau zwischen den beiden, steht groß da mit prächtigen Ahornblättern und spendet beiden Schatten. Mein Hunger treibt mich endlich los, das Mobilfunktelefon klingelt.
Nach einem ausgedehnten Frühstück, mittags, gehe ich zurück auf den Platz. Mittlerweile hat sich ein Saxophonist eingefunden und dudelt zum Gasthof passende Durchschnittsunterhaltung, die Menschen scheinen trotzdem dankbar. Bei dem Jazzstück „Take Five“ von Dave Brubeck verspielt sich der Mann so schlimm, dass ich einen Anwesenden ernsthaft fragen muss, was er von dessen Spiel halte. Der Mann meint, er fände es gut, und das der Junge im Monat mehr verdiene als wir beide zusammen. Ich denke, na Wunderbar. Nach einer Stunde, ich übe mich gern in Geduld, hat mir das emotionslose und verhaltene Geplärr des Musikers gründlich die Stimmung verdorben und ich packe, bevor mich Trübsal befällt, meine Fahrräder und mich nach Hause. Verkauft hab ich nichts. Glücklich Zuhause angekommen gibt es noch Abendbrot und Musik von den Einstürzenden Neubauten. „Zwei Dinge sind unendlich, die Dummheit und das All“ Ja denk ich, Blixa du hast so Recht. Diese Worte noch im Sinn, schlaf ich irgendwann ein und durch die Nacht wie ein Baby. Guter Tag. Gute Nacht. Neuer Tag.