Leseproben

Andreas Erdmann

Wolfsjagd

Firndorf/ Lappland, 2. Mai 1969

(Auszug)

1.

Warm war der Schnee ... und rot, leuchtend rot ... getränkt von dem Blut, das sich verströmte und in der kalten Luft dampfte. „Der Bærgelak war‘s!“ sagte mein Vater und beugte sich über das Ren, welches leblos, den Kopf zur Seite geknickt, mit zerrissener Kehle im Harsch lag.
„ Welcher Bærgelak?“ fragte ich.
„ Na, der Grauhund.“
„ Herrje!“ seufzte Mutter, als sie herbeigeeilt kam: „Grauenhaft ... Und schon wieder ein Jungtier.“ Fassungslos starrte sie auf das braune Kälbchen mit den langen Zotteln: Wie ein Bärenkind schaute es aus.
„ Sein drittes Opfer im Lauf von zwei Wochen“, Vater erhob sich und blickte der Spur nach, die sich als Abdruck von Pfoten den weißverschneiten Hang hinaufzog: „Doch diesmal schlug Matis ihn in die Flucht!“
„ Matis!?“ Sie sah mich aus großen Augen an: „Ist das wahr, mein Kind? Bist du so mutig gewesen?“
„ O ja, Mutter“, gab ich zurück. „Ich lief an den Zaun. Kaum sah mich der Graue, ist er schon auf und davon wie der Blitz.“

2.

Großvater spannte die Rentiere an und sprach ihnen zu: „Ruhig Blut, ruhig Blut.“ Denn die Hirsche scheuten, wie immer, die Lenka.
Derweil schabte Mutter mit scharfem Knochen den Raureif vom Schlitten. Und jetzt kam Vater, in seiner Kufte aus Sämischleder; er trug ein Lasso über der Schulter und brachte die Gewehre zur Lade. „Aslak“, sagte die Frau zu ihm, „werdet ihr heute den Reißer erwischen?“
„ Bestimmt. Er kann nicht weit sein, und wir brauchen ja nur seiner Fährte zu folgen.“
„ Darf ..., darf ich ... mitkommen?“ fragte ich zögernd.
„ Unsinn“, gab Mutter zurück.
Vater hingegen meinte: „Hm, warum nicht? Du bist bald erwachsen und groß genug für die Jagd.“
„ Erwachsen!? Assi, der Junge ist nicht mal neun Jahre alt!“
„ Och, Mutter, bitte!“, drängelte ich.
„ Nein, mein Sohn“, sagte sie noch, jedoch aus dem Ton ihrer Stimme vernahm ich bereits ein ‚Vielleicht‘. Und als Großvater ihr dann erklärte, auf einer Wolfsjagd könne ich etwas fürs Leben lernen, willigte sie schließlich ein: „Nun gut, Väterchen, aber gebt auf ihn acht, und lasst ihn mir nicht aus den Augen!“
Jetzt aber schnell! Ich stürzte ins Haus und schlüpfte in meine Fellbeinlinge. Im Nu zurrte ich mir die Skaller, meine Fellschuhe, mit rotem Band an den Bellingern fest, verschnürte den Pelz und setzte mir meine neue Vier- Winde- Mütze auf.
„ Johee! Männer, seid ihr zur Abfahrt bereit?“ tönte Großvater vorn auf dem Rentierschlitten.
„ Jawohl!“ rief Vater, der hinter mir saß.
„ Jawohl!“ rief auch ich.
„ Oi oi hoooh!“ Es gab einen Ruck: Die vier Zugtiere setzten sich in Bewegung, und wir, ihren wippenden Geweihen hernach, fuhren voran auf dem Schlitten. Mutter winkte zum Abschied: „Manne dærvan! Fahrt in Gesundheit!“
„ Bacce dærvan!“ Ich winkte zurück und sah die Frau am Tor zunehmend kleiner und kleiner werden. Bald schrumpfte das Blockhaus hinter ihr zu einem grünen Tupfer zusammen, und um sie herum schrumpften die anderen Hütten und Häuser: Gelb, rot und blau... Das ganze Dorf, das damals aus gut einem Dutzend Gebäuden bestand, erschien nur mehr wie eine Anzahl von bunten Punkten auf einer papierweißen Fläche.
„ Siehst du den Grauen?“ rief ich nach vorne.
„ I lae, noch nicht“, bekam ich zu hören, „aber wir sind ihm rasch auf den Fersen.“ - Rasch waren wir, ja wir rauschten nur so den fliegenden Rentieren nach. Auf sausenden Kufen schnellte der Schlitten mit uns zwischen Birken einher, durch eine kalte und kühlende Luft, hinaus in die Weite der Vidda. Hier erschien mir der Himmel auf einmal so groß und die Erde so klein und gedrungen. Am Horizont zog eine Raide dahin, und als die letzten umzäunten Weiden der Herden hinter uns lagen, vernahmen wir vor uns, aus einiger Ferne, den hohen Ton einer Joike. Dem johlenden Ruf folgte ein heiseres Hundegebell. Dann tauchten die dunklen, erdfarbenen Zelte ziehender Lappen im milchweißen Firn auf.
„ Dort steht der Gubbe!“ Großpapa zeigte zum Rand des Zeltdorfs, wo ein kleiner, knubbliger Greis vor einer verfallenen Gamme lehnte. Dies war er also ... Von diesem Mann, den alle nur Gubbe, den Alten, nannten, hatte ich schon gehört: Man erzählte in Firndorf, dass er ursprünglich aus Norwegen stamme - und an die 130 Jahre alt sei!
Mich erinnerte er, wie er jetzt, in seiner rotgrünen Tracht mit der hohen Spitzmütze, durch den schmatzenden Sulz auf uns zugeschlurft kam, an einen urigen Feldtroll: „Mikkel Mikkelsen!“ krächzte er Großvater zu, kam näher und grüßte mit heiserer Stimme: „Buore bæive, guten Tag!“
„ Ibmel addel“, erwiderte Großvater, „Gott gebe den guten Tag!“
„ Wollen‘s hoffen.“
„ Gubbe, sagt, habt Ihr den Grauhund gesehen?“
„ Jei, vor zehn Minuten schlich er am Torf lang.“
„ Vor zehn Minuten erst?“
„ Jei. Jedoch ... jagt das Tier besser nicht“, sagte der Alte, sowie er jetzt die Gewehre erblickte, „der Wolf ist ein Freund des Menschen.“
„ Ein Freund? Er riss uns drei Rentiere!“
Dies sei beklagenswert. „Aber vergesst nicht, wir Menschen nahmen dem Wolf seinen Lebensraum und beraubten ihn seiner Beute. So ist er gezwungen, sich wiederzuholen, was ihm gehört.“
„ N‘ ja ...“
„ Wenn ihr dennoch hinausfahrt“, raunte der Gubbe und kniff die Augen zu furchigen Schlitzen zusammen. „nehmt euch in acht vor dem Sturranoaivi!“
„ Ach!?“ machte Großvater, wirkte erschrocken.
„ Wovon spricht der Mann?“, fragte ich Vater.
„ Vom Sturranoaivi, dem Großen Kopf“, erklärte er mir, „unsere Vorfahren nannten ihn Schneegeist.“
„ Jei, jei, der Schneegeist ... man hat ihn draußen im Eisfeld gesichtet“, griente der Greis. Er stapfte im matschigen Faulschnee herum, bevor er sich jäh zu mir aufreckte und mich aus weit aufgerissenen Augen anstarrte: „Oo, mein Junge, weißt du denn nicht, dass der Schneegeist die weiße Wildnis beherrscht? Gigantisch ist er, weder Mensch noch Tier, und wem er zürnt, dem bringt er den Tod!“
„ So ein Unfug, Gubbe!“ fuhr Vater ihn an, „erzählt dem Jungen kein Schauermärchen!“
„ Im Märchen wohnt Wahrheit“, erwiderte er.
Und Großvater drängte zum Aufbruch: „Wir müssen los! Boris, boris.“
„ Friede!“ wünschte der Gubbe uns noch auf den Weg - was in unserer Sprache ‚Friede vor Wölfen‘ bedeutet.
„ Ja, Friede!“
„ Friede!“ wünschten auch wir. Großpapa schnalzte den Rentieren zu, und wir zogen hinaus in die Wildmark.

[...]


 

Peter Kahn

Hook der Kater

Ich komm‘ nach Haus, vom Welttheater,
an der Tür sitzt schon mein Kater
Er legt sich auf den Rücken dann,
dass ich den Bauch ihm streicheln kann

Und dann, in aller Seelenruhe,
beschnuppert er die Straßenschuhe
Mit einem Buckel zeigt er an,
da ist was an der Sohle dran

Ich schaue nach, mit Wut im Blick
Schon wieder einmal Hundeglück!
Es ekelt mich, riecht gar nicht fein
Nie werd‘ ich Hundehalter sein!

Hook denkt sich sicher: „Diese Köter,
was sind das nur für Schwerenöter!
Des Menschen bester Freund sich nennen,
jedoch Manieren sie nicht kennen!

An jeder Ecke, jedem Baum
stinkt‘s fürchterlich, man glaubt es kaum!
Hätten Menschen unsre Nasen,
sie jagten Hunde, so wie Hasen!“

Der Schwanz, er winkt, es zupft die Tatze
So führt er mich zum Futterplatze
Sein Schüsselchen ist völlig leer,
sein Blick sagt mir, er will noch mehr

Ich öffne eine neue Dose
Doch diesmal geht‘s voll in die Hose
Es schmeckt ihm nicht! Er ist verschwunden,
verschläft erst mal die nächsten Stunden

Als er erwacht, schleicht er heran
und fängt mit mir zu schmusen an
Das falsche Futter ihn nicht grämt,
er liebt mich trotzdem unverschämt

Reibt mit dem Kopf mir Stirn und Kinn,
was heißt, dass ich sein Kumpel bin
So kraule und massier‘ ich ihn
Sein Schnurren lässt die Sorgen flieh‘n

Und will ich einmal gar nicht schmusen,
so kann er dies auch gut verknusen
Er widmet sich dem eignen Spiele,
Ideen, hat er, unendlich viele

Blitzschnell jagt er über‘s Buffet,
ich alles schon in Scherben seh‘
Doch nichts zerbricht! Denn die Devise,
heißt: höllisch schnell und sehr präzise!

Als hätt‘ er Spaß an meinem Schock,
spaziert er, hoch im zehnten Stock,
draußen auf der Fensterbrüstung,
ganz ohne Gurt und ohne Rüstung!

Mal jagt er auch nur seinen Schwanz
Ein ganz absonderlicher Tanz
Und hat er ihn gefangen dann,
fängt er die Jagd von vorne an

Geht‘s mir mal schlecht, spürt er das auch,
legt wärmend sich auf meinen Bauch
Und dann massiert der gute Junge,
mir Hand und Stirn, mit rauer Zunge

Sein Name, Hook, wo kommt der her?
Er räubert schließlich nicht im Meer
Doch Hook heißt Haken, wie bekannt
Fünf Stück trägt er, an jeder Hand

Die Krallen! Meist zieht er sie ein
Beim wilden Spiel kann es schon sein,
dass er verwechselt Mensch und Maus,
dann fährt er seine Krallen aus

Nichts sei so scharf wie Fleischermesser?
Wer mit ihm raufte, weiß es besser!
Nur eines seh‘ ich gar nicht ein
Er braucht nicht mal `nen Waffenschein

Doch trotz der schmerzhaft, blut‘gen Hiebe,
zerstört‘s nicht meine Katzenliebe!
Wie elegant sie sich bewegen
Die Ruhe selbst, doch stets verwegen

In praller Sonne liegen sie
Und sparen eigne Energie
Kläffend und hechelnd rumzurennen,
da ist kein Sinn drin zu erkennen

Mit Hunden seine Kraft zu messen,
wozu? Man kann sie doch nicht fressen!
Man klettert lieber auf den Baum,
entspannt dem Treiben zuzuschau‘n

Wie kläffend er vor Wut sich windet
und keinen Weg nach oben findet,
bleibt er ermattet liegen dann,
kampflos der Sieger gehen kann!

Doch führt kein Weg aus der Gefahr,
bedroht man ihre Kinder gar,
die Ruhe ist dahin bei ihnen
Dann werden sie zu Kampfmaschinen!

Dann fürchten sie auch keinen Schmerz
Es wächst ihnen ein Löwenherz
Für ihrer Katzenkinder Leben,
würden sie, ihr eignes geben!

Doch Beutetiere habet acht!
Euch schützt auch nicht die dunkle Nacht!
Denn Ohren, Nas‘ und Katzenaugen
für widrigste Bedingung taugen

Haben sie erst Beute ausgemacht,
dann lauern sie die halbe Nacht
Und schlagen zu, nach der Devise:
Höllisch schnell und sehr präzise!

Und kann die Beute doch entkommen,
so wird‘s halt sportlich hingenommen
Man hetzt nicht wütend hinterher,
den Fehlschlag nimmt man nicht so schwer

Man hat gelernt die Jagdlektion
Beim nächsten Mal! Da klappt es schon!
Das ist‘s, was mich so fasziniert
Die Katzen leben ungeniert

Sie lassen selten sich verdrießen
Sie können einfach gut genießen
Sie kämpfen nicht um jeden Preis,
auch nicht für Herren, wie man weiß

Mein Kater hört nicht auf Befehle
Ganz unverkäuflich seine Seele
Wenn ich das respektieren kann,
dann bietet er mir Freundschaft an

Und diese Freundschaft ist so schön
Er lässt mich meine Wege geh‘n
Er fragt mich nicht: Bist du denn reich?
Bin ich auch arm! Es ist ihm gleich

Er freut sich, wenn nach Haus ich komme
Schnurrt fort die Sorgen, welche Wonne!
Drum lieb ich ihn, geb‘ ihn nicht her
Es sei, er wünscht es selber sehr

So sehr lieb ich auch meine Frau
Nur scheint‘s, sie spürt‘s nicht so genau
Die Ehe fänd‘ ich halb so schwer,
wenn meine Frau ´ne Katze wär‘!